Alice Schwarzer schreibt

Maischberger bei Schwarzer

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Alice Schwarzer: Fangen wir doch mal mit Schirrmacher an.
Sandra Maischberger: Was habe ich mit Schirrmacher zu tun?

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Unser Kollege macht sich Sorgen über das Monopol der Meinungsmacherinnen à la Christiansen, Illner – und Maischberger. Die hält der Feuilletonchef der FAZ für die Vorbotinnen des Matriarchats und die Verursacherinnen einer "Männerdämmerung".
Ah ja. Ich habe es nicht gelesen.

Soll ich das wirklich schreiben? Das wird ihn hart treffen, dass es Meinungsmacherinnen gibt, die seine Artikel nicht lesen.
Das tut mir leid, es ist aber so. Die Bild-Zeitung hatte mich deswegen angerufen. Da habe ich mich einen Moment lang gefragt, ob eine Frau Schirrmacher in Deutschland denkbar wäre – und bin zu dem Schluss gekommen: Nein.

Und warum nicht?
Weil diese Art, in der Herr Schirrmacher und seine Freunde Meinung machen, Frauen eher fremd ist. Maybrit zum Beispiel, Sabine oder ich, wir sind nicht angetreten, um Meinung zu machen.

Und wozu sind Sie angetreten?
Um selber etwas zu erfahren. Um zuzuhören. Und zu informieren. In der Hoffnung, dass die Menschen sich dann ihre eigene Meinung bilden. Ich bin übrigens nicht sicher, ob wir viel verpassen, wenn wir auf diese Leitartikel verzichten würden.

Schirrmacher führt in seinem Artikel nicht nur die Moderatorinnen als Vorhut des Matriarchats an, sondern auch die Verlegerinnen Friede Springer und Liz Mohn. Nun sind die Ehefrauen, die die Macht übernehmen, natürlich wieder was ganz anderes. Aber er unterstellt allen, dass es eine Rolle spiele, ob ein Mann oder eine Frau das mediale Sagen hat.
Wir sind viel harmloser als die Schirrmachers dieser Welt, denn unser oberstes Ziel ist nicht, dass am Ende alle denken wie wir. Wir haben einen anderen Stil. Und wir sind tüchtiger als die Männer meiner Generation. Wir mussten uns nämlich mehr anstrengen, um dahin zu kommen, wo wir sind. Und dann haben die Programmmacher plötzlich gemerkt: Sieh an, mit Frauen kann man ja Quote machen. Aber dass wir es grundsätzlich anders machen würden als Männer – das sehe ich nicht.

Doch ist es in der Tat auffallend, wie viele Frauen plötzlich für die Kommunikation im Fernsehen zuständig sind. Hat sich etwa das private Wohnzimmer – in dem Frauen ja auch oft das Wort führen – ins öffentliche Studio verlagert? Will sagen: Ist das alles vielleicht nur die Verlängerung der klassisch weiblichen Rolle, in der Frauen so lange reden dürfen, bis es den Männern reicht?
Dann müsste uns ja auch ab und zu ein Mann aus der Talkrunde losschicken, um das Bier aus dem Kühlschrank zu holen ... Was Gottseidank noch nicht passiert ist. Aber ehrlich gesagt: Ich habe noch nie darüber nachgedacht, das würde mich befangen machen. Am liebsten hätte ich, man würde es gar nicht mehr beachten, dass ich eine Frau bin und würde einfach vom "Programm Maischberger" reden.

Und was ließe sich sagen über das "Programm Maischberger"?
Dass ich zuhöre. Dass ich vorbereitet bin. Und dass ich Mut habe.

Mut?
Ja. Den Mut, das vorbereitete Konzept über den Haufen zu werfen. Angstfrei zu sein. Und uneitel.

Vor kurzem haben Sie mit der Kriegsreporterin Antonia Rados gesprochen, die bei Ihnen immer den Rücken zur Kamera drehte – und ausführlich über deren Körpersprache geredet. Wie schwer wiegen Worte im Fernsehen – und wie schwer wiegt das Nonverbale, die Körpersprache?
Wenn ich zur Körpersprache auch die Mimik und Rhetorik zähle, dann wiegt das alles zusammen mindestens 60 zu 40 – also schwerer als die Worte.

Was für die Befragten gilt wie für die Fragende.
Ja, aber die Fragerin beobachtet sich selber nicht.

In den Medien ist viel die Rede von Ihrer Körpersprache. Von der Mimik, den großen braunen Augen, dem einfühlsamen Lächeln, der sanft-gutturalen Stimme. Das "Rezept der intimen Inquisation", die weibliche Masche des "Flirts" nennt es die Schweizer Weltwoche. Sie selbst aber, Sandra, haben sich mal als "extrem männlich" bezeichnet. Was denn nun?
Im besten Fall bin ich männlich und weiblich zugleich. Einfach Mensch sein, das wäre ideal.

Hört sich an wie ein feministischer Traum. Aber noch sind die Verhältnisse nicht so. Sie haben einmal gesagt, früher hätten Sie sich "neutralisiert", jetzt aber trauten sie sich, eine Frau zu sein, was immer das bedeuten mag. Wer hat sich geändert: die Maischberger oder die Welt?
Puh. Schwer zu sagen. Als ich noch zur Schule ging, war Unisex angesagt: Hosen, T-Shirts. Als ich anfing, Fernsehen zu machen, habe ich versucht, möglichst wenig weiblich auszusehen, kurze Röcke und Ausschnitte – mit denen ich abends ausging – zu meiden. Damit die Leute mir ins Gesicht sehen. Aber die Komplimente an die Frau Maischberger sind weiter gegangen. Also habe ich den Schluss gezogen, dass es nicht auf meine Ausstattung ankommt, sondern auf meine Haltung. Jetzt ziehe ich mich im Fernsehen so an wie privat.

Von den "Waffen einer Frau" ist jetzt die Rede. War das rote Abendkleid bei der Verleihung des Fernsehpreises im letzten Jahr so eine Waffe?
Ich mag solche Kleider.

Auch, wenn Sie damit irgendwie verkleidet aussehen, fast transvestitisch?
(lacht) Super! Genau das gefällt mir. Auf einer Bühne habe ich Lust, mich zu verkleiden. Aber ich bitte zu beachten, dass ich wirklich keinen guten Geschmack habe. Die Sachen, die ich habe, kauft Jan für mich ein.

Das scheinen die Spätfolgen frühkindlicher Erfahrungen zu sein. Ihre Mutter hat sie exakt so angezogen wie Ihren Bruder: nämlich praktisch und mit Hosen.
Ich glaube, dass meine Mutter an mir das ausgelebt hat, was sie selber gerne gehabt hätte: Also von Anfang an die absolute Chancengleichheit. Es gibt Fotos von meinem Bruder und mir am Strand. Wir haben beide die von meiner Mutter genähten weißschwarzen Badehosen an – und wir sehen völlig gleich aus. Inklusive der rappelkurzen Haare.

Sie haben bis zum achten Lebensjahr in Italien gelebt. Wieso eigentlich?
Mein Vater war Diplom-Ingenieur am Max-Planck-Institut in Frascati. Und meine Mutter war Sachbearbeiterin an dem Institut. Als wir zur Welt kamen, hat sie pausiert und später wieder halbtags gearbeitet. Wir haben in Grotta Ferrata gewohnt. Das war ein Paradies für uns Kinder! Mit Oleanderbäumen so groß wie Linden. Ich bin da in den Kindergarten gegangen und in die Grundschule und habe nur Italienisch gesprochen und gebrochen Deutsch.

Und dann kam der Umzug nach München. Ein Schock.
Deutschland war grau, es war November, die Menschen waren unfreundlich. Ich fand’s furchtbar. Die haben entsetzliche Dinge getan: Meinen Schulranzen aus dem Fenster geworfen, meine Uhr ins Waschbecken … Und ich konnte noch nicht mal mit denen reden. Ich bin nach Hause gelaufen und habe geheult, tagelang. Und ich habe Migräne bekommen, die ging erst mit 16 wieder weg.

Also eine frühe glückliche Kindheit – und eine zunächst traurige Jugend. Ist diese Mischung zwischen Sicherheit und Außenseitertum das Geheimnis der Interviewerin Maischberger?
Vielleicht. Ein Leitmotiv ist auf jeden Fall das Dazugehören-Wollen. Irgendwann habe ich mir gesagt: Euch werde ich es zeigen! Und als ich in der elften Klasse Schülersprecherin war, hatte ich das geschafft.

Nach dem Abitur ging das dann gleich los mit dem Journalismus?
Ich habe erst mal beim Bayerischen Rundfunk als Plattenauflegerin gearbeitet. Zwei Jahre lang Mädchen für alles: Discjockey beim BR, dann die ersten Stücke für den Jugendfunk, Schreiben für die Stadtzeitung, Übersetzen für den Musikexpress etc. Und ich war total stolz, dass ich finanziell schon auf eigenen Füßen stand. Erst mit 21 bin ich zur Journalistenschule. Und für meine Miete habe ich dann Nachtschicht bei Tele 5 gemacht. Irgendwann haben die mich gefragt, ob ich moderieren will. Ich wollte nie vor die Kamera – fand das dann aber sehr bequem und bin dabei geblieben.

Dann hat es Hochs und Tiefs gegeben. Ein absolutes Tief war 1991 die Sendung mit Erich Böhme.
Damals wusste ich noch zu wenig, hatte nicht begriffen, was ein Gastgeber ist und war die einzige Frau. Und Böhme war nicht gerade hilfreich. Heute bin ich mit ihm befreundet.

Gibt es nach über 700 Sendungen noch echte Fragen bei Maischberger?
Ja! Sonst würde ich aufhören.

Erzählen Sie mir von Ihrem Arbeitsalltag.
Wenn es ideal läuft, steht der Gast des nächsten Tages fest, während ich auf Sendung mit dem Gast von heute bin. Dann kann ein Redakteur schon den nächsten Tag vorbereiten. Ich komme um halb zwölf in die Redaktion. Den Vormittag brauche ich, um Dinge zu lesen und zu tun, die nicht direkt mit der Sendung zu tun haben. Oder ich rede mit Leuten. Oder ich habe mit meiner Produktionsfirma zu tun, die ich zusammen mit einer Freundin und meinem Lebensgefährten habe.

Ihr Lebensgefährte ist der Prager Kameramann Jan Kerhart. Mit ihm sind Sie seit zehn Jahren zusammen und Sie arbeiten auch mit ihm. Und er hat Ihnen das Bernsteinamulett geschenkt, das Sie fast immer tragen. Richtig?
Ja. Wo waren wir stehengeblieben? Ich komme also um halb zwölf in die Redaktion und lese eine halbe Stunde. Dann machen wir Brainstorming. Wir reden über die möglichen Fragen. Was ist Pflicht, was Kür? Worauf müssen wir uns gefasst machen? Kommt der Gast mit einer Message – oder müssen wir ihm eher die Dinge aus der Nase ziehen? Muss man ihm widersprechen? Was ist meine Munition? Was fehlt mir noch?

Wie groß ist die Redaktion?
Wir sind zu fünft. Und wir diskutieren alles im Team. Danach muss ich noch drei Stunden lang intensiv lesen – und merke, ob  noch was fehlt. Zum Schluss drucke ich mir den Spickzettel aus – und gehe in die Sendung.

Und was steht auf dem Spickzettel?
Der Kopf, die wichtigsten Infos zur Person. Und eine knapp formulierte Anmoderation, ich habe ja keinen Teleprompter. Und ein paar Fragen. Alles muss auf ein Blatt passen. Aber es kann auch passieren, dass die Gäste erst um halb fünf feststehen, und um viertel nach fünf muss ich schon auf Sendung. Da kommt dann zum Tragen, dass ich seit 18 Jahren Journalistin bin. Wenn ich etwas nicht weiß, frage ich einfach. Ich weiß genug, um die richtigen Fragen zu stellen. Das sind oft die besten Sendungen.

Die Interviewsendung ist ja nicht das Einzige, was Sie machen. Sie haben auch eine Produktionsfirma, zusammen mit Jan Kerhart.
Und einer Partnerin. Die ist der Innenminister, ich bin der Außenminister. Und Jan ist zuständig für Bildgestaltung und Kalkulation.

Wenn Sie zusammen sowas wie diesen göttlichen Film über "Dr. Wedel und Mr. Hyde" machen …
… ja, das war wirklich das reine Vergnügen …

… wie funktioniert dann die Arbeitsteilung?
Wir arbeiten ja zusammen seit Spiegel-TV. Er wollte immer tolle Bilder machen – und ich gute Interviews. Da haben wir viel gestritten und uns zusammengerauft. Wenn wir heute miteinander drehen, wissen wir, was wir voneinander zu erwarten haben. Und bei Wedel war das so. Dieter Wedel benimmt sich auch ohne Kamera so, wie vor laufender Kamera. Immer wenn ich da war, wuchs Herr Wedel noch ein Stück höher, als er eh schon ist. Deswegen haben wir ihn alleine von Jan beobachten lassen. Da sind die besten Sachen rausgekommen, denn keiner merkte mehr, dass er da war.

Das macht sicherlich Spaß, so zusammenzuarbeiten. Aber es kann auch zur Belastung werden …
Absolut. Wir streiten nur. Wie Kesselflicker. Aber das geht nun schon seit zehn Jahren – und langsam nähern wir uns in unseren Standpunkten.

Und wie geht Jan mit der zunehmenden Öffentlichtkeit Ihrer Person um?
Natürlich gefällt ihm das nicht. Jan kommt aus Tschechien, er fühlt sich noch immer beobachtet. Aber das mit der Bekanntheit kommt ja erst noch so richtig dicke … Doch wenn’s mich nervt, hör ich auf und geh nach Neuseeland.

(lacht) Das hat noch nie jemand gemacht.
Das ist aber mein Anspruch!

Sie haben bei Ihrer Arbeit nicht diese typisch deutsche Trennung von E und U, bei Ihnen ist das Ernste auch unterhaltend und die Unterhaltung auch ernst. In der von Alfred Biolek übernommenen Sendung geht es jetzt aber nochmal einen kräftigen Schritt in Richtung Unterhaltung. Hilft dabei der Agent, den Sie seit vier Jahren haben?
1999 hatte ich zwei Flopps hinter mir und kriegte nur unterirdische Angebote. Zum Beispiel eine gemeinsame Sendung mit Alice Schwarzer: zwei Frauen gegen einen Mann.

Erinnere ich mich gar nicht.
Aber ich. Also habe ich mir gesagt: Ich hole mir jemanden, der mir hilft. Heute brauche ich ihn für Verhandlungen und Koordination, weil ich sonst pro Tag zwei Stunden nur mit Terminkram verbringen würde. Außerdem tickt mein Agent, wie ich nicht ticke: Nämlich wie die Chefredakteure der Bild-Zeitung.

Er ist ja auch der Ex-Agent von Feldbusch …
… und der von Dieter Thomas Heck, Jenny Elvers etc. Er hat ein breites Spektrum.

Laufen Sie nicht Gefahr, jetzt ins Star-System reingezogen zu werden?
Maischberger Sein Job bei Verona Feldbusch war es, sie in die Zeitung reinzubringen. Sein Job bei mir ist es, mich aus der Zeitung rauszuhalten. Zum Beispiel bei solchen Artikeln wie den in Bild nach dem Unfall mit Mette-Marit, wo es hieß: "Die von Ehrgeiz zerfressene Journalistin verbrennt die schöne Prinzessin".

Was ist Ihnen eigentlich wirklich wichtig?
Dass ich meine Unabhängigkeit behalte. Das ist der wahre Luxus. Zum Beispiel, wenn die Sendung nicht funktioniert – dass ich mich dann was Neues traue. Und ich möchte hell bleiben, hell im Kopf. Ich habe das Gefühl, so hell wie jetzt war ich noch nie.

Neulich haben Sie mit einer Kollegin im Studio übers Alter geredet. Die wurde 50. Wie stellen Sie sich eine 50-jährige Sandra Maischberger vor?
Ich bin jetzt 37, das heißt, ich gehe schon seit geraumer Zeit auf die 40 zu. Ich bin im vorauseilenden Älterwerden sehr gut!

Dann wird es wenigstens keine Überraschung …
Also mit 50 habe ich ja dann zwei Kinder.

Und Jan hat dann auch zwei Kinder?
Der will seit zehn Jahren Kinder von mir. Am liebsten würde ich sagen: Dann krieg sie doch! (Gelächter) Ich habe mal geträumt, mein Vater wäre schwanger. Er hatte so einen dicken Bauch und ich dachte: Oh Gott, wenn der Penis bei der Geburt so anschwillt …

Sie haben ja Ihren Vater sehr geliebt. Und er war eine große Autorität für Sie.
Autorität, ich weiß nicht. Ich habe mich furchtbar mit ihm gestritten. Aber ja, ich habe ihn geliebt. Ich glaube ja nicht an Wiedergeburt, ich glaube, das wahre Weiterleben ist in der Erinnerung – und er lebt in meiner.

Ihre lebt noch. Was sagt sie zu Ihrer aktuellen Entwicklung?
Die hat Angst.

Wovor?
Angst, dass ich wieder flach werde. Sie findet es besser, wenn ich Politik pur mache … Also, das ist schon eine Aufgabe: Eine Sendung zu machen, die meiner Mutter gefällt.

Na, dann viel Glück!

EMMA 5/2003

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