Alice Schwarzer schreibt

"Kumm Anne, do bes alt lang lans Schmitz backes!*

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In der Zeit war mal zu lesen, Ihr Traum sei es, Kardinalin zu werden. Sie haben das später in einer Talkshow richtiggestellt: Eigentlich sei das der Traum des Interviewers gewesen – Ihr wahrer Traum sei es, einmal im Leben in Köln auf dem Prunkwagen mitzufahren.
Anne Will (lacht) Ja, davon habe ich schon als Kind geträumt. Das ist mein Lebenstraum! Oben auf dem Wagen stehen und mit Karacho Pralinenschachteln werfen.

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Alle Kölner verstehen, was Sie damit meinen. Aber außerhalb des Rheinlandes scheint es peinlich zu sein, gerne Karneval zu feiern.
Kann gut sein. Als ich das Amelie Fried in einer Talkshow erzählt habe, dass es mein wahrer Traum ist, auf dem Prunkwagen mitzufahren – da hat sie mich sehr konsterniert angeschaut. Sie fand das, glaube ich, ziemlich peinlich.

Sie sind Kölnerin und leben in Hamburg und Berlin. Gibt es da Mentalitätsunterschiede?
Zweifellos die Fröhlichkeit. Die habe ich von meinen Eltern geerbt. Und, dass man nichts und niemanden – auch nicht sich selbst – zu wichtig nimmt. Das macht uns Rheinländer irgendwie auch unverwundbar. Denn das beinhaltet ja eine gesunde Distanz zu den Dingen und zu sich selbst. Die Kölner haben einfach eine große Toleranz anderen gegenüber. Das allerdings haben die Berliner auch, was schon mit der Größe der Stadt zu tun hat. Da ist es allerdings weniger ein Tolerieren der anderen, als eher ein Ignorieren.

Sprechen Sie zuhause mit den Eltern oder mit dem Bruder eigentlich Kölsch?
Ich spreche Hochdeutsch. Meine Eltern auch, allerdings mit stark rheinischem Einschlag. Meine Mutter spricht ein wunderschönes, reines Kölsch; mein Vater, der aus einem Eifeldorf bei Köln kommt, spricht Platt. Einer meiner Lieblingssätze von ihm ist: „Et is ja nit, als wenn ma jet säät, ma spricht ja nur.“ Will sagen: Ist ja alles nur Gerede. Und einer meiner Lieblingssätze von meiner Mutter – der zum Beispiel warnend erklang, wenn ich mir auf eine gute Note was eingebildet habe – lautet: „Kumm Anne, do bes och noch nit lans Schmitz Backes.“

Was bedeutet denn das?
Komm Anne, du bist auch noch nicht an Schmitz’ Backhaus vorbei. Die Backhäuser lagen ja früher immer am Dorfrand, wegen der Brandgefahr. Und das heißt also: Du hast es noch nicht ganz geschafft, du bist noch nicht aus dem Dorf raus.

An Schmitz Backes sind Sie ja in den letzten Monaten mehrere Male locker vorbei gezogen. Aber bevor wir auf unser Kernthema kommen, auf Ihren Beruf, bleiben wir noch einen Moment in der Kindheit. Wenn Anne Will darüber spricht, fällt auf, dass alle Träume immer Jungsträume waren: Ministrantin werden, für den Boxer Mohammed Ali schwärmen oder den Mittelstürmer Müller … Wer ist das eigentlich?
Gerd Müller! Hat 1974 das zwei zu eins im Finale der Fußballweltmeisterschaft geschossen! Aus einer unmöglichen Position: Er stand mit dem Rücken zum Tor und drehte sich und kriegte diesen Ball irgendwie rein … Wahnsinn!

Haben Sie Fußball geguckt – und der Bruder hat mit Puppen gespielt?
Nein, wir haben alle vier Fußball geguckt. Wir hatten extra zur Weltmeisterschaft unseren ersten Farbfernseher bekommen und saßen aufgereiht auf dem Sofa. Ich weiß noch genau, es war ein wahnsinnig heißer Sommer, und wir saßen bei uns zu Hause alle bei offenem Fenster vor dem neuen Fernseher.

Von wem haben Sie denn die Fußballleidenschaft?
Alles von meinem Bruder. Ich habe alles immer meinem Bruder nachmachen wollen. Alles, was Mädchen damals noch nicht durften: Messdiener sein, im Fußballverein sein … Mein Bruder ist zwei Jahre älter als ich – und dem ging das total auf den Geist.

Also von der Prägung her weniger die Vatertochter und eher die Bruderschwester … Ihr Bruder ist heute Taxifahrer in Köln. Das ist ja eine ganz andere Domäne als Ihre. Kommentiert er auch schon mal Ihren Tagesthemen-Job?
Er fragt mich schon mal was, aber er sagt nicht, was er von meiner Arbeit hält. Das ist irgendwie kein Thema zwischen uns.

Sagen Sie ihm denn schon mal, wie er fährt?
(lacht) Mein Bruder fährt sensationell! Wenn er neben mir auf dem Beifahrersitz sitzt, dann kann ich echt nervös werden und denke: Hoffentlich mache ich das gut. Einmal hat er gesagt: „Fährst richtig gut Auto.“ – Darauf bin ich bis heute stolz.

Aber woher kommt die Begabung für den Journalismus? Ihr Vater ist Architekt, Ihre Mutter Hausfrau.
Halt, meine Mutter hat meinem Vater lebenslang im Büro geholfen und war früher Fräulein vom Dienst bei der Post. Eine von diesen Damen, die mit dem Kopfhörer auf dem Kopf die Verbindungen gestöpselt haben. Und der Großvater väterlicherseits war Totengräber in Thorr, aber nebenberuflich Ausrufer. Das heißt, er ging durchs Dorf und verkündete die „Bekanntmachungen“. Da liefen mein Vater und sein Bruder mit und bimmelten mit der Glocke. Im Grunde genommen mache ich ja heute auch nichts anderes als Bekanntmachungen …

Nur mit modernen Mitteln und statt für hundert Dörfler für ein paar Millionen Menschen. Aber da gibt es also eine erbliche Vorbelastung.
Bei uns zu Hause wird einfach ohne Ende geredet. Und ich werde jetzt fürs Reden auch noch bezahlt.

Und was sagen die zu Hause dazu?
Ach … Meine Eltern haben von uns beiden nie eine Karriere erwartet. Sie haben uns einfach gelassen. Und so verfolgen sie auch meinen jetzigen Weg zwar sehr wohlwollend, aber ohne Ambitionen. Ich glaube, meine persönliche Zufriedenheit ist ihnen wichtiger als meine berufliche Karriere.

Als Journalistin ist Ihre Ausbildung eine klassische: Studium, Volontariat – und dann irgendwann beim Fernsehen gelandet. Der Journalismus ist heute ein Traumberuf, vor allem der Fernsehjournalismus. Wenn Sie Volontäre einstellen würden – was wären Ihre Kriterien?
Es ist natürlich gut, wenn jemand eine gewisse Begabung mitbringt. Und Neugierde. Und Offenheit. Aber in erster Linie ist der Journalismus ein Handwerk, das man erlernen muss: gründlich, fair und umfassend recherchieren; Interviewtechniken und Moderationstechniken beherrschen; faktenreich und bildhaft moderieren oder schreiben. Ich bin froh, dass ich in einer Redaktion arbeite, für deren Arbeit ich mich nicht schämen muss.

Die halbe Stunde Tagesthemen sind ja nur die Spitze des Eisbergs. Wie läuft der Arbeitsalltag einer Tagesthemen-Moderatorin?
Mein idealer Arbeitstag verläuft so: Ich stehe so um acht auf, laufe durch den Park …

Jeden Morgen?
Naja, zumindest an den idealen Tagen. Dann lese ich die Zeitungen. Um halb zwölf haben wir die erste Konferenz, im Kern-Team von etwa einem halben Dutzend. Da ist auch immer ein Kollege der Tagesschau dabei. Dann kreisen wir die Themen ein. In meinem Büro lasse ich vier Fernseher gleichzeitig laufen, gucke, was die anderen so machen. Um viertel nach vier ist die zweite Konferenz. Dann legen wir die Themen und Abläufe fest. Bis dahin wissen wir von den KorrespondentInnen, was wir von ihnen geliefert kriegen. Meine Moderations-Redakteurin, die mir direkt zuarbeitet, hat bis dahin schon die Materialmappen für mich vorbereitet. Gegen sechs fange ich dann an zu schreiben und versuche, das Agenturdeutsch und den Politsprech in sprechbare Sprache zu übersetzen.

Das muss sich ja dann so anhören, dass bei Wills auf dem Sofa nicht gemeckert wird: Die sät ja nix, die spricht ja nur.
Genau. Ich muss präzise, aber nicht zu kompliziert formulieren. So, dass man beim Zuhören nicht aus der Kurve getragen wird. Während ich schreibe, spreche ich gleichzeitig laut meine Texte. Wenn da einer vorbeikommt, der muss mich für verrückt halten. Und zwischendurch telefoniere ich mit den Korrespondenten, frage, was der Tenor ihres Berichtes ist. Und ideal ist dann, wenn der letzte Satz meiner Moderation in den ersten Satz des Berichtes übergeht, dann kriegt das Ganze Tempo.

Das ist der Part der Tagesthemen-Moderatorin. Ihr anderer Part sind die von Ihnen selbst geführten Interviews. Und da haben Sie in den letzten Monate einige geführt, die regelrecht Furore gemacht haben. Das mit Schröder zum Beispiel nach seiner Ankündigung der vorzeitigen Beendigung der Regierungszeit. Oder das mit Müntefering, der bei Ihnen sagte, er stehe „mitten im Getümmel“ – was Sie ihm dann dick aufs Butterbrot geschmiert haben, Stil: Der Parteivorsitzende hat also keinen Überblick mehr und das Heft nicht mehr in der Hand.
Die Wochen nach der Ankündigung der Neuwahlen waren auch spannend. Endlich passierte etwas! Da hatte ich keine Lust, mich mit ausweichenden Redewendungen abspeisen zu lassen. An der Stelle wird das Ganze im übrigen auch eine Haltungsfrage. Ich hatte echte Fragen und wollte echte Antworten. Und da habe ich einfach nicht locker gelassen.

Wie ist es eigentlich für Sie persönlich, wenn Sie dramatische, tragische Nachrichten vermitteln, wie zum Beispiel die Katastrophe von New Orleans?
Gerade dann versuche ich, so nüchtern wie möglich zu sein und so zurückhaltend wie nötig zu texten. Ich kann und will in so einem Fall mit meinen Worten nicht gegen den Schrecken der Bilder ansprechen. Das Dramatische an New Orleans war aber ja nicht nur die Tatsache, dass die Vereinigten Staaten die größte Naturkatastrophe ihrer Geschichte erlebten, sondern, dass ein Land wie Amerika es nicht verstanden hat, angemessen damit umzugehen. Und genau das haben die Tagesthemen von Beginn an thematisiert.

Sie haben sich bei der Aktion ‚Gemeinsam für Afrika‘ engagiert und waren jüngst im Sudan. Es ist ein Unterschied, am Schreibtisch in Hamburg zu sitzen – oder den betroffenen Menschen selbst zu begegnen.
Ja, und es ist gut, dass ich auch mal rauskomme. Ich war zum ersten Mal in meinem Leben in Schwarzafrika. Von Nairobi aus bin ich mit der Cesna in den Sudan geflogen. Und wenn man so von oben auf das Land guckt, dann sieht man ein Paradies: sattes Grün und mittendrin kleine Dörfer mit Lehmhütten rund um den Dorfplatz. Und dann landet man – und ist in der Steinzeit. Da gibt es nichts. Nicht eine asphaltierte Straße, keinen Strom, kein fließendes Wasser. Das ist das Resultat von 20 Jahren Bürgerkrieg.

Da kämpft der islamistisch unterwanderte Norden, in dem die Scharia Gesetz ist, gegen den Süden.
Ja, im Süden leben Christen und Animisten und im Norden Islamisten. Aber es war kein Religionskonflikt. Es geht um die Macht. Und den Zugang zu den Ölquellen. Und seit Januar ist Waffenstillstand. Es gibt Hoffnung.

Und was können Sie da beitragen?
Vor Ort kann ich nur wenig tun. Ich kann mich nur menschlich verhalten und zum Beispiel in der Lepraklinik mit den Menschen reden und sie auch tröstend anfassen – statt sie zu meiden. Wichtig ist, dass ich dann in Deutschland darüber informiere und um Solidarität und Spenden bitte. Das hat auch funktioniert.

Im nächsten Jahr werden Sie 40. Macht das nachdenklich?
Ja. Ich merke leichte Widerstände in mir, wenn Freunde und Freundinnen sagen: Babe, wo feierst du?! Dann murmel ich was von: Habe dann vermutlich viel zu tun; bin gar nicht sicher, ob ich überhaupt feiere …

Für einen Fernsehmoderator wäre das kein Thema, 40 zu werden. Der wird frühestens ab 60 nervös. TV-Journalistinnen aber …
So ist es. Eine Frau muss, ganz anders als ein Mann, immer noch überlegen, ob sie auf dem Bildschirm in Würde altern kann. Ich möchte gerne in Würde altern. Aber wenn ich spüren sollte, dass mir das auf dem Schirm nicht zugestanden wird, werde ich mich nicht daran klammern.

Das wäre aber praktisch für die männlichen Kollegen. Die erfahrenen Kolleginnen sind weg und es dürfen neue junge Frauen antreten, die ihnen keine Konkurrenz machen.
Ist was dran. Eigentlich müssten gerade wir, die Frauen meiner Generation, sagen: Ihr habt sie wohl nicht alle! Wir werden für unsere gute Arbeit geschätzt, wir tragen hier nicht nur unser Gesicht zur Schau. Und da ist für mich jemand wie Barbara Walters ein Vorbild, die amerikanische Moderatorin, die mit 74 nach wie vor glänzende Sendungen macht. Wie gerade das Interview mit Colin Powell, in dem hat er bekannt, dass er bereut, mit der falschen Behauptung, der Irak hätte Massenvernichtungswaffen, zum Irak-Krieg beigetragen zu haben. Es gilt ja für alle Bereiche der Gesellschaft, dass wir lernen müssen, Menschen wieder für ihre Erfahrung zu schätzen und weg zu kommen von dem verrückten Jugendwahn. Ich erwarte eigentlich von mir, dass ich mit den Journalistinnen meiner Generation ein anderes Signal geben werde. Ich fühle durchaus die Verpflichtung, da was zu erkämpfen. Das wäre schon großartig! Dass wir das Recht haben, älter zu werden – ohne uns eine Tarnkappe überziehen zu müssen. Wir werden es ja sehen: Was Maybrit oder Sandra oder ich daraus machen. Wir haben uns aber auch bisher nie girliehaft inszeniert. Und das ist ja schon der erste Schritt Richtung würdiges Altern.

Sie sind als Kölnerin natürlich auch katholisch und kommen aus einem gläubigen Elternhaus. Was sagt denn die verhinderte Ministrantin nun zu ihrem neuen Papst?
(Langes Schweigen) Tja … Müssen wir darüber reden?

Nein, müssen wir nicht.

Das Gespräch führte Alice Schwarzer.

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