Wie emanzipiert ist diese First Lady?

Artikel teilen

Die kurze Ansprache wäre nicht weiter bemerkenswert gewesen, hätte Barack Obama geredet. "Wir müssen dafür sorgen, dass jedes Kind eine vernünftige Schulbildung bekommt. Wir wollen mit Hilfe des Konjunkturprogramms verhindern, dass Lehrer entlassen werden und dass die Bundesstaaten auf dem Gebiet Bildung kürzen", bekamen die Mitarbeiter des Bildungsministeriums in Washington zu hören. "Danke für Ihren Dienst, und nun lasst uns an die Arbeit gehen!"

Anzeige

Doch es war nicht der Präsident, der da so energisch um Unterstützung für seine Bildungspolitik warb – es war First Lady Michelle Obama, die die Mitarbeiter des Ministeriums anspornte wie: "Sie gehören zur Speerspitze bei der Bewältigung der vielen Aufgaben, die wir in dieser Regierung zu erledigen haben."

Wir? Wir in dieser Regierung? Das sind kühne Worte, wenn man "nur" die Frau des amerikanischen Präsidenten ist. Michelle Obama hielt denn auch für einen Moment inne, bevor sie Investitionen in Bildungsprogramme ankündigte. "Ich sollte nicht ‚wir‘ sagen, sondern ‚die Regierung‘ sagen", unterbrach sie sich – um gleich im nächsten Satz abermals ausschließlich in der ersten Person Plural über bildungspolitische Ziele der Obama-Regierung zu sprechen.

Dabei hatte Michelle im Wahlkampf doch so leidenschaftlich versichert, sie wolle als First Lady "Mom in Chief" bleiben! Ihre beiden Töchter, die sieben Jahre alte Sasha und die zehn Jahre alte Malia, sollten wissen, dass sie auch im Falle des Wahlsiegs "weiter das Zentrum des Universums" sind, erzählte Mutter Michelle im Sommer der auf schwarze LeserInnen zugeschnittenen Zeitschrift Ebony.

Myra Gutin findet es deshalb "ziemlich überraschend", dass die First Lady kaum zwei Wochen nach ihrem Einzug ins Weiße Haus zu einer Tour durch die Ministerien aufbrach, auf der sie schwungvoll für die Verwirklichung der neuen politischen Agenda focht. Das sei ziemlich das Gegenteil von dem, was nach dem Interview mit Ebony zu erwarten gewesen sei, sagt Gutin. Zu den Forschungsgebieten der Kommunikationsprofessorin an der Rider University in New Jersey gehört die Rolle der First Ladies ("The President’s Partner: The First Lady in the Twentieth Century"). "Michelle Obama ist stärker engagiert und öffentlich tätig als jede andere First Lady, an die ich mich erinnern kann", staunt auch Mary Finch Hoyt, die frühere Sprecherin von First Lady Rosalyn Carter.

War das Bekenntnis zur Mutterrolle also nur ein Trick? Kaltes Wahlkampfkalkül? Hat die schlaue Michelle jene weißen Wähler überlistet, denen die schwarze Princeton- und Harvard-Absolventin, erfolgreiche Anwältin und hoch bezahlte Krankenhaus-Managerin nicht geheuer war? "Sie ist eine gute Schauspielerin, nicht wahr?", so der sarkastische Kommentar eines rechten Bloggers, der immer schon wusste, dass dieser Michelle nicht zu trauen ist.

Während diese Ururenkelin des Sklaven Jim Robinson im Wahlkampf von konservativen Gegnern als "wütende Schwarze" dämonisiert wurde, sahen manche Feministinnen die einstige Mentorin des Kanzleinovizen Obama, die später den Löwenanteil zum Familieneinkommen beisteuerte, schon in der Opferrolle. Beunruhigt verfolgten sie, wie Obamas Wahlkampfmannschaft der Powerfrau mit dem Weichzeichner zu Leibe rückte, als eine Debatte darüber losbrach, ob Michelle mit Mann und Vaterland zu wenig solidarisch sei.

"Genau die Eigenschaften, die sie zur Symbolfigur für alle Frauen des 21. Jahrhunderts machen – ihre starken Überzeugungen, ihre Bereitschaft sie zu äußern, ihr Vertrauen geboren aus dem selbst erkämpften Aufstieg – haben sie zum lohnenden Ziel für jene gemacht, die immer noch glauben, dass forsche Frauen und First Lady niemals eins sein können", klagte die Pulitzerpreisträgerin Geraldine Brooks. Und "Ich will, dass Michelle Obama
Co-Präsident wird", forderte Leslie Morgan Steiner, Herausgeberin des Bestsellers "Mommy Wars". Stattdessen posierte die Karrierefrau nach dem Wahlsieg ihres Mannes für die Illustrierten als stolze Ehefrau und Mutter und ließ sich für ihre raffinierte Art sich zu kleiden feiern.

Die Journalistin Rebecca Traister diagnostizierte daraufhin eine Art kollektiver Amnesie: "Es ist so, als hätten wir all das vergessen, was wir in den letzten Jahrzehnten über weibliche Errungenschaften und Identität gelernt haben", schrieb sie in ihrem viel debattierten Aufsatz "The momification of Michelle Obama".

In nostalgischer Verklärung von Familienidealen werde unter Mitwirkung einflussreicher Zeitungen wie der New York Times der Camelot-Mythos der Kennedys wiederbelebt. "Mit afroamerikanischer Besetzung, aber einer kaum modernisierten Rolle der Ehefrau und Mutter."

Die Klage war womöglich verfrüht. Merkwürdigerweise scheinen ausgerechnet jene, die Michelle Obama für ihren beruflichen Aufstieg priesen, den Ehrgeiz und die Tatkraft der neuen First Lady zu unterschätzen. Der Umzug der Familie Obama, inklusive Großmutter für die Kinder, ins Weiße Haus war kaum abgeschlossen, da begann Michelle Obama eine facettenreiche, vielschichtige Figur der First Lady zu formen, mit souveränen statt stereotypen Wesenzügen. Moderne Mutter, geliebte und geschätzte Gefährtin ihres Mannes, mit dem sie telegen und trotzdem ungekünstelt flirtet, Advokatin für Frauen und Familien, Verbindungsfrau zum Volk und politische Botschafterin des Präsidenten.

So ließ sich ihr ambitionierter Versuch umreißen, die diversen Ansprüche und Erwartungen an das Amt zu verbinden und zu versöhnen – und dabei auch noch authentisch zu bleiben. Hillary Clinton hat diese Herkulesaufgabe einmal treffend so beschrieben: "Von ihr (der First Lady) wird erwartet, dass sie ein Ideal repräsentiert – und ein weitgehend mythisches – Konzept amerikanischer Weiblichkeit."

Die Obamas hatten von Anfang an sehr deutlich gemacht, dass es mit ihnen keine Wiederbelebung des gescheiterten Doppelpack-Konzepts der Clintons geben werde. Denn das wäre mit ziemlicher Sicherheit politischer Selbstmord gewesen. Als im Wahlkampf die gefährliche Mär von der "wütenden Schwarzen" kursierte, beruhigten sich die Gemüter erst wieder, als Michelle Obama im Fernsehen über Strumpfhosen und andere Banalitäten plauderte. Aber politische Teilhabe, wie Hillary Clinton sie damals offen beanspruchte, wollte Michelle Obama ohnehin nicht. Den politischen Ambitionen ihres Mannes stand sie skeptisch gegenüber, nicht zuletzt wegen der Folgen für die Familie.

Aber dann zog Barack Obama seine Trumpfkarte, wie Liza Mundy in ihrer Biographie "Michelle" nachzeichnet. Es ginge doch darum, Aufstiegschancen für die Menschen auf der South Side von Chicago zu schaffen, umwarb er seine Frau. Damit rührte Barack bei Michelle an eine empfindliche Stelle. Zu einem gewissen Grad empfindet sie ihren Aufstieg als Gnade des Schicksals, die anderen, nicht minder begabten Kindern auf der South Side versagt geblieben sei. "Die Linie zwischen Erfolg und Versagen ist so hauchdünn", sagte sie einmal in einem Interview. So erklärt sich auch, warum Michelle Obama den eigenen Erfolg als Verpflichtung für soziales Engagement betrachtete.

Sie persönlich hatte zwar nicht den Wunsch, politisch aktiv zu werden, doch die Idee sozialen Wandels gehörte von Anfang an zu den Scharnieren, die Michelle und Barack verband. Die Obamas haben nicht das so heikle, weil nicht von allen gewünschte, "Two-for-One"-Motto der Clintons übernommen, so Liza Mundy, "aber ihre Ziele scheinen zu verschmelzen".

Auffällig ist denn auch, dass die neue First Lady ein Team mit fundierter politischer Erfahrung um sich geschart hat. Michelle Obama hat zwar nicht, wie damals Hillary Clinton, ein Büro im Westflügel des Weißen Hauses bezogen, wo der Präsident und seine wichtigsten Berater residieren. Doch die Mannschaft der First Lady im Ostflügel konferiert permanent mit dem Westflügel, wie "wir am besten helfen können", so ihre Stabchefin Jackie Norris.

"Ein vielversprechender Ansatz für starkes Engagement", lobt Kim Gandy, Präsidentin von NOW (National Organization for Women), der größten feministischen Vereinigung in den Vereinigten Staaten. Jocelyn Freye, die federführend bei der Gestaltung der Agenda der First Lady ist, hatte zuvor jahrelang Lobbyarbeit für mehr Rechte von Frauen am Arbeitsplatz betrieben. Zu Freyes Projekten gehörte unter anderem der Kampf für den "Lilly Ledbetter Fair Pay Act" zum Schutz von Frauen gegen schlechtere Bezahlung.

Bezeichnenderweise nahm Michelle Obama die Unterzeichnung des Gesetzes, das von Republikanern heftig kritisiert worden war, zum Anlass für ihre erste offizielle Ansprache als First Lady. Lilly Ledbetter sei eine "Inspiration für Frauen und Männer im ganzen Land", lobte sie die ehemalige Arbeiterin, die von linksliberalen Aktivistinnen als Vorkämpferin gepriesen wird.

Nicht minder wichtig war, was Michelle Obama mit der kurzen Rede über sich selbst sagte: Dass sie als "First Mom" keineswegs abseits der Politik stehen wird. Doch schon damals im Ebony-Interview hatte Michelle Obama sich durchaus nuancierter zu ihrer Rolle geäußert, als es das Etikett der "Mom in Chief" suggerierte, das sie sich medienwirksam angeklebt hatte. Von einem Rückzug ins Private war nie die Rede. Vielmehr wolle sie "weiterhin" vor allem für Malia und Sasha da sein. Wie man weiß, hat der Wunsch, in erster Linie Mutter zu sein, Michelle Obama auch früher nicht daran hindern können, "nebenbei" zur hoch bezahlten Managerin aufzusteigen und zugleich noch die politische Karriere ihres Mannes zu unterstützen.

Als Michelle sich für den Krankenhausjob bewarb, den sie 2002 annahm, erschien sie mit dem Säugling Sasha zum Vorstellungsgespräch, da gerade kein Babysitter verfügbar war. Keine Überraschung also, dass die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu den Prioritäten der neuen First Lady gehört.

In Michelles eigenem Elternhaus waren die Rollen klar verteilt. Der Vater, Fraser Robinson, ging zur Arbeit und die Mutter, Marian Robinson, sorgte zu Hause für Michelle und deren eineinhalb Jahre älteren Bruder Craig. Die Familie lebte in bescheidenen Verhältnissen auf der Südseite von Chicago in einem Arbeiterviertel, dessen weiße Bewohner vor den hinzuziehenden Schwarzen flohen. Fraser Robinson arbeitete bei den städtischen Wasserwerken. Trotz seiner Erkrankung an Multipler Sklerose versäumte er kaum einen Arbeitstag. Es war ein einfaches, aber intaktes Familienleben.

Disziplin, Fleiß, Ordnung und familiärer Zusammenhalt – Tugenden, die Michelle Obama auch als First Lady predigt. In strengen, eindringlichen Worten. "Ich komme aus ähnlichen Verhältnissen wie ihr", erzählt sie Teenagern in einem Washingtoner Bürgerzentrum. "Niemand hat Zauberstaub auf meinen Kopf oder den Kopf von Barack gestreut ... Wir haben uns entschieden, auf unsere Eltern zu hören und hart zu arbeiten, und noch härter zu arbeiten, wenn jemand Zweifel an uns hatte." Ähnlich redet sie Schulkindern ins Gewissen, die das Weiße Haus besuchen. "Jederzeit das Beste zu geben ... Eure Familien zu unterstützen, eure Betten zu machen, Geschirr zu spülen und eure Zimmer aufzuräumen. Das ist Teil der Vorbereitung" (um gute Bürger zu werden). Klingt ganz schön altmodisch. Aber die First Lady, diese elegant-lässige Frau mit dem zuversichtlichen Lächeln und selbstironischem Witz ("Ich bin hier eigentlich überflüssig, weil ihr schon vom Fernsehgucken wisst, was ich so mache und sage".) darf solche Dinge sagen, für die andere bestenfalls ein höhnisch-mitleidiges Lächeln der Kids ernten würden.

Vor allem schwarze Frauen und StreiterInnen für soziale Gerechtigkeit sehen die First Lady als Verbündete. Und als Vorzeigefrau und Identifikationsfigur. Denn viel zu lange haben die Karikaturen der promiskuitiven "Hoochie Mama" und der dienstbaren Küchenmamsell "Aunt Jemima" Vorurteile gegen schwarze Mädchen und Frauen in den Vereinigten Staaten geschürt. Die dritte, nicht weniger diffamierende Variante, ist die der schwarzen Sozialhilfeempfängerin. "Wenn schwarze Frauen in den Nachrichten auftauchen", so die sarkastische Analyse von Whoopi Goldberg, "haben sie keine Zähne, und die Zähne, die sie haben, sind mit Gold eingefasst. Und sie kriegen keinen geraden Satz hin".

Die Lage der Mehrheit der schwarzen Frauen ist in der Tat bitter: Gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil leben unverhältnismäßig viele schwarze Amerikanerinnen in Armut, werden im Teenageralter schwanger, sind alleinerziehend und werden auch noch von ihren Männern geschlagen. Dagegen wirkt die erfolgreiche Michelle mit ihrem netten Mann und den reizenden Töchtern wie eine Lichtgestalt. "Sie hat die Macht zu ändern, wie wir Afroamerikanerinnen uns selbst sehen", schreibt die Journalistin Allison Samuels. Die Macht, ihren "black sisters" die Gewissheit zu geben, dass sie schön und attraktiv sind, auch mit breiten Hüften und dunkler Haut. Bis Michelle Obama auftauchte, wurde als schwarze Schönheit nur akzeptiert, wer möglichst hellhäutig war und "weiße" Gesichtzüge hatte, wie Halle Berry oder Beyoncé.

Und dennoch werden selbst im Fall Michelle Obama wieder weiße Vorbilder bemüht: Als die "schwarze Jackie" wird sie gepriesen. Aber der Vergleich hinkt. Jackie Kennedy repräsentierte den aristokratischen Anspruch der Ostküstenelite. "Ich will nur Originale tragen und nicht erleben, wie kleine, fette Frauen in den gleichen Kleidern herumhüpfen", hat die Frau von JFK einmal gesagt. Die neue First Lady, das einstige Arbeiterkind, gibt sich dagegen via Onlineshopping bei Modeketten wie J. Crew demonstrativ egalitär.

Vor allem aber haben die Obamas tatsächlich zu bieten, was die Kennedys nur vorspielten: eine glückliche Ehe und eine heile Familie. Beides hatte auch Eleanor Roosevelt nicht, eine der politisch einflussreichsten Präsidentenfrauen, mit der Michelle Obama ebenfalls zuweilen verglichen wird. Diese Parallele ist gewissermaßen das andere Extrem. Zwängt man Michelle Obama in die Rolle einer neuen Jackie Kennedy, kommt ihr politisches Engagement zu kurz. Andererseits erscheinen die Schuhe von Eleanor Roosevelt noch einige Nummern zu groß. Beim Einzug ins Weiße Haus 1933 war die Frau Franklin Roosevelts bereits erfolgreiche Aktivistin der Demokratischen Partei. Und als äußerst aktive und engagierte Kämpferin für soziale Reformen in der Ära des "New Deals" setzte sie neue, in vieler Hinsicht bis heute unerreichte Maßstäbe für das politische Engagement der First Lady.

Doch Michelle Obama ist ja auch erst wenige Monate im Amt. In dieser kurzen Zeit hat sie immerhin schon geschafft, was Hillary Clinton während ihrer acht Jahre im Weißen Haus nicht gelang: Ungestraft den Heiligenschein der keksbackenden Mom abzulegen, den alle First Ladies verdonnert bekommen. Michelle Obama preist die Vorzüge von Biokost aus regionalem Anbau – und erntet dafür Zustimmung. Und sie wird als Vorbild gepriesen, weil sie ein strenges Fitnessprogramm absolviert und ihren Töchtern um 20 Uhr Nachtruhe verordnet. Aber ist das nicht ein bisschen wenig? Vor allem, wenn man bedenkt, was diese Frau alles aufgeben musste: "Nicht nur ihre Privatsphäre, sondern ihre Unabhängigkeit, und eine Vision für sich selbst, ganz zu schweigen von ihrem Einkommen", schreibt die schwarze Journalistin Michel Martin voller Mitleid.

Doch die First Lady weist energisch zurück, ein Opfer ihrer Rolle zu sein. Sie definiere sich nicht über ihren Beruf, sagte die Karrierefrau in einem Fernsehinterview, "sondern darüber, was ich mit meinem Leben mache". Rückzug oder Transzendierung feministischer Grenzen? Die nächsten Jahre werden die Antwort geben.

Zum Weiterlesen:
Liza Mundy: Michelle Obama (Fackelträger, 19.95 €)

Artikel teilen
 
Zur Startseite