Weinstein: It’s a Man’s World

Weinstein am 5. Juni mit Verteidiger Brafman (re). Foto: Imago / Pacific Press Agency
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Ambra Battilana Gutierrez war vor dreieinhalb Jahren mit hohen Erwartungen in das New Yorker Büro der Weinstein Company gekommen. Das italienische Model hatte kurz vor dem Treffen den Chef der Produktionsgesellschaft, Harvey Weinstein, kennengelernt. Bei einer Premiere kam der 66-Jährige auf die 25-Jährige zu und machte ihr Komplimente. Am nächsten Tag erreichte Battilana eine E-Mail ihrer Agentur. Weinstein wolle sie so schnell wie möglich treffen, um über eine Zusammenarbeit zu sprechen.

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Cyrus Vance hat ein Herz für die Mächtigen

Als die Italienerin (mit philippinischen Wurzeln) am nächsten Tag in Weinsteins Büro im schicken Tribeca vorsprach, nahm der Geschäftstermin einen unerwarteten Lauf. Statt sich Battilanas Fotomappe anzusehen, starrte Weinstein auf ihre Brüste. Nach der Frage, ob sie echt seien, stürzte er sich auf sie, befingerte ihre Brüste und versuchte, ihr die Hand unter den Rock zu schieben. Er ließ erst von ihr ab, als sie sich aus ganzer Kraft wehrte. Sodann ging der Filmproduzent zur Tagesordnung über. Er bot dem Model Tickets für ein Broadway-Musical an und verlangte, dass sie ihn am nächsten Abend dort treffen solle.

Battilana Gutierrez zog die nächste Polizeiwache vor. Als der Hollywood-Mogul am Tag darauf anrief, saß die gebürtige Turinerin schon bei der Spezialeinheit für Sexualstraftaten des New York Police Department. Die BeamtInnen entwickelten einen Plan. Battilana sollte Weinstein am nächsten Tag treffen und dabei ein Abhörgerät tragen.

Als die ehemalige Miss Piemont den Produzenten an der Bar des Tribeca Grand Hotels wiedersah, hörte die Special Victims Division (SVD) mit. Die BeamtInnen wurden Zeuge, wie Weinstein die 25-Jährige bedrängte, mit ihm auf sein Zimmer zu gehen. Schließlich gab sie nach. Vor der Tür zu Weinsteins Zimmer entwickelte sich ein hitziger Dialog. „Ich will nicht. Ich will wieder nach unten gehen“, sagte Battilana immer wieder, während er versuchte, sie mit einer Mischung aus Drohungen und Beleidigtsein in sein Zimmer zu locken. Nun holte sie zum Schlag aus. „Warum haben Sie meine Brüste angefasst?“, fragte Battilana Gutierrez hörbar verzweifelt. „Oh bitte. Es tut mir leid. Ich bin das gewohnt“, erwiderte Weinstein. Auf die Frage der Frau, ob Brüstegrabschereien zu seinen Gewohnheiten zählten, antwortete der schlicht: „Yes“. Als Battilana das Tribeca Grand Hotel einige Minuten später verließ, ging sie davon aus, Hollywoods einflussreichsten Strippenzieher als Sexualverbrecher enttarnt zu haben.

Ambra Battilana Gutierrez mit ihrer Anwältin.
Ambra Battilana Gutierrez (re) mit ihrer Anwältin.

Die Causa Weinstein nahm allerdings eine andere Wendung. Cyrus Vance, der Bezirksstaatsanwalt von Manhattan, gab zwei Wochen nach der Abhöraktion der Spezialeinheit für Sexualstraftaten bekannt, dass er Weinstein nicht anklagen wolle, trotz Zeugin, Tonaufnahmen und BeamtInnen, die das Agieren und Geständnis des 66-Jährigen live mitangehört hatten. „Auch wenn die Aufnahme schwer zu ertragen ist, reichte sie nicht aus, um ein Verbrechen nachzuweisen“, rechtfertigte sich der Staatsanwalt später. Denn: „Es gelang bei den folgenden Ermittlungen nicht, einen Vorsatz nachzuweisen. Dieser Umstand, verbunden mit anderen Beweisproblemen, ließ keine andere Wahl, als die Ermittlungen ohne Strafantrag zu beenden."

Es sollte weitere zweieinhalb Jahre dauern, bis Weinsteins mutmaßlich gewohnheitsmäßige Sexualgewalt bekannt wurde. Anfang Oktober 2017 berichteten die New York Times und der New Yorker, wie der Gründer der Filmgesellschaften Miramax und The Weinstein Company jahrzehntelang (Nachwuchs)Schauspielerinnen, Models und Mitarbeiterinnen begrabscht, vergewaltigt und zu Oralsex gezwungen habe. Hollywood-Stars wie Rose McGowan, Gwyneth Paltrow und Angelina Jolie gingen mit ihren Weinstein-Erlebnissen an die Öffentlichkeit.

Wieder leitete Bezirksstaatsanwalt Vance Ermittlungen ein. Wieder passierte nichts. Doch dann ging es plötzlich ganz schnell. Ende Mai brachten sich Dutzende Kamerateams vor der Polizeiwache in Tribeca in Stellung. Es war durchgesickert, dass Weinstein einer bevorstehenden Verhaftung zuvorkommen und sich stellen wolle. Die Special Victims Division habe inzwischen ausreichend Beweise zu Übergriffen auf zwei weitere Frauen gesammelt: So soll die einstige Nachwuchsschauspielerin Lucia Evans von Weinstein 2004 bei einem Treffen in seinem Büro zu Oralsex gezwungen worden sein. Eine zweite Frau, die anonym blieb, hatte der Produzent nach den bisherigen Ermittlungen 2013 in einem Hotel vergewaltigt.

Nach der Vorabinformation der Staatsanwaltschaft glich das Spektakel vor der Polizeiwache an der Varick Street einer perfekt inszenierten Filmszene. In Begleitung seines Verteidigers Benjamin Brafman erschien ein lächelnder Weinstein – unter dem Sakko ein Pullover in unschuldigem Babyblau, in der Hand Biografien über die Entertainment-Legenden Elia Kazan, Richard Rodgers und Oscar Hammerstein. Seht her, ich bin ein Filmemacher und kein Serienvergewaltiger, signalisierte Weinsteins Outfit.

Verteidiger Brafman ist spezialisiert in solchen Dingen. Er hatte vor sieben Jahren schon Dominique Strauss-Kahn, den mächtigen Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) vor einem Schuldspruch bewahrt. Strauss-Kahn soll allerdings in dem anschließenden Zivilprozess Millionen Schweigegeld an das Zimmermädchen gezahlt haben.

Er verzichtete auch auf eine Anklage gegen Ivanka Trump.

Den Spießrutenlauf verdankte der von zwei Cops eskortierte Weinstein der Bewegung Time’s Up, die Prominente wie Reese Witherspoon und Taylor Swift als Reaktion auf den Weinstein-Skandal und #MeToo angestoßen hatten. Und: der Polizei.

Nach Andeutungen aus den Reihen der Special Victims Division, es seien die Anwälte von Weinstein gewesen, die Bezirksstaatsanwalt Vance nach Battilana Gutierrez‘ Abhöraktion von einer Anklage abgehalten hätten, forderte Time’s Up den Gouverneur von New York öffentlich zu Ermittlungen gegen seinen Chefankläger auf. „Besonders die Berichte über Einschüchterungsversuche durch führende Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft gegen Battilana Gutierrez verdienen eine Untersuchung“, ließen die Aktivistinnen den Demokraten Andrew Cuomo in einem offenen Brief wissen.

Recherchen der Zeitschrift New York hatten in der Tat ein verstörendes Bild gezeichnet. Wenige Tage nach Battilana Gutierrez‘ Anzeige hatte Martha Bashford, die Chefin der Abteilung für Sexualstraftaten der Bezirksstaatanwaltschaft von Manhattan, das Model zu einem Gespräch gebeten. Kurz darauf schickte Bashfords Vorgesetzter Vance Ermittler in die Wohnung der Italienerin. Wie Michael Bock, ein inzwischen pensionierter Beamter der SVD, sich erinnert, versuchten die Beamten, bei Battilana Gutierrez‘ Mitbewohnerinnen Dreck zu sammeln. Arbeitete sie als Prostituierte? Unterhielt sie Beziehungen zu wechselnden Partnern? Etc.

Als die 25-Jährige von den Nachforschungen erfuhr, brach sie in Tränen aus. „Das Opfer hatte Angst“, sagt der pensionierte Cop Bock. Um Staatsanwalt Vance nicht länger die Möglichkeit zu geben, Battilanas Standfestigkeit zu erschüttern, unternahm die Spezialeinheit für Sexualstraftaten einen ungewöhnlichen Schritt. „Wir beschlossen, das Opfer zu verstecken – vor dem Staatsanwalt“, erklärt Bock heute.

Von Links: Sergeant Keri Thompson von der NYPD, Harvey Weinstein, Detective Nicholas DiGaudio. Foto: Kristin Callahan / Imago / Zuma Press
Sergeant Thompson (NYPD), Weinstein und Detective DiGaudio bei der Verhaftung. Foto: Kristin Callahan/Imago/Zuma Press

Vance und seine KomplizInnen hatten aber bereits ganze Arbeit geleistet. Immer wieder erschienen in US-Medien Artikel über vermeintliche Skandale von Battilana. Die Zeitungen berichteten auch über den Besuch des Models bei einer von Silvio Berlusconis berüchtigten „Bunga Bunga“-Orgien – aber verschwiegen, dass Battilana die Party verließ, als Freunde des damaligen italienischen Ministerpräsidenten begannen, sich mit minderjährigen Prostituierten zu vergnügen. „Die Staatsanwaltschaft verbrachte mehr Zeit mit Ermittlungen gegen das Opfer als mit Ermittlungen gegen den Verdächtigen“, sagt ein ehemaliger Polizeibeamter heute.

Vielen kam die Strategie bekannt vor. Auch Strauss-Kahns mutmaßliches Opfer Diallo war 2011 als Prostituierte und Lügnerin beschrieben worden. Der damalige Bezirksstaatsanwalt? Cyrus Vance! Strauss-Kahns Verteidiger? Benjamin Brafman! Die damalige stellvertretende Bezirksstaatsanwältin Joan Illuzzi beantragte damals, wegen „mangelnder Glaubwürdigkeit“ des mutmaßlichen Opfers die Klage gegen den IWF-Direktor fallen zu lassen. Brafman hatte zuvor eine Armee von Privatdetektiven auf das Zimmermädchen aus Guinea angesetzt. Der Prozess gegen Strauss-Kahn endete, bevor er richtig begonnen hatte. 

Bei Weinstein zeigte sich die Anklägerin Illuzzi bislang weniger verständnisvoll. „Die Ermittlungen belegen, dass er Geld, Macht und Stellung nutzte, um junge Frauen in Situationen zu bringen, in denen er sie sexuell verletzten konnte“, warf die Staatsanwältin dem mächtigen Filmproduzenten bei der Anklageerhebung Ende Mai vor. Die SVD-Beamtin Keri Thompson und ihr Kollege Nicholas DiGaudio, die Weinstein verhaftet hatten und nun auch in Handschellen in den Gerichtssaal des Criminal Court führten, hatten sieben Monate lang Beweise gesammelt. Sie waren nach Los Angeles, London und Paris geflogen, hatten Hotlines für vergewaltigte Frauen abgehört und Opfer befragt. Frauen erzählten von Grabschereien, Belästigungen und Vergewaltigungen. Einige signalisierten die Bereitschaft, vor Gericht gegen den Hollywood-Mogul auszusagen. Andere haben Angst.

„Wir erkannten ein Muster. Die Frauen wurden mit der Aussicht auf eine Karrierechance an einem Ort isoliert“, fasste der ehemalige Polizeidirektor Robert Boyce den Einsatz zusammen. Seit den ersten öffentlichen Anschuldigungen im Oktober 2017 haben fast 90 Frauen von Übergriffen durch Weinstein berichtet. Neben New York wird auch in Los Angeles, Beverly Hills und London gegen den 66-Jährigen ermittelt. Bei einem Schuldspruch drohen Weinstein, der gegen eine Million Dollar Kaution bis zum unbestimmten Prozessbeginn auf freiem Fuß blieb, eine lebenslange Haftstrafe.

Derweil wird die Luft für den gewählten Bezirksstaatsanwalt Vance dünner. Wie Reporter des New Yorker und der Website Propublica herausfanden, hat der Sohn des verstorbenen US-Außenministers Cyrus Vance ein großes Herz für einflussreiche Persönlichkeiten – vor allem, wenn sie für seine Wiederwahl spenden. So verzichtete Vance 2012 abrupt auf eine Anklage gegen Ivanka Trump und ihren Bruder Donald Jr., die in Verdacht standen, potenzielle Käufer über die finanzielle Misere des Trump Soho Hotels im Dunklen gelassen zu haben. Der Kehrtwende war eine Spende an Vance vorausgegangen über 25.000 Dollar durch Marc Kasowitz, den Privatanwalt ihres Vaters Donald Trump.

Aber die Luft für den Staats-
anwalt wird immer dünner.

Auch Weinstein soll von Vance‘ Milde profitiert haben. Nach der überraschenden Entscheidung des Bezirksstaatsanwalts, trotz der durch Battilana Gutierrez bewiesenen Übergriffe und Geständnisses von einem Strafprozess abzusehen, überwies David Boies, der Anwalt der Weinstein Company, Vance 10.000 Dollar. Insgesamt sollen der Jurist und Kollegen mehr als 180.000 Dollar für Vance‘ Wahlkampfkasse aufgetrieben haben.

Gouverneur Cuomos Versuch, dem umtriebigen Ankläger nach Protesten der Time’s-Up-Bewegung auf die Finger zu sehen, läuft dennoch schleppend. Denn New Yorks Attorney General Eric Schneiderman, den Demokrat Cuomo mit der Untersuchung von Vance‘ Praktiken beauftragte, musste vor einigen Wochen nach Misshandlungsvorwürfen von vier früheren Liebhaberinnen zurücktreten. Ausgerechnet Schneiderman war im Februar noch zum Impulsgeber der #MeToo-Bewegung avanciert, als er The Weinstein Company vor dem Obersten Gerichtshof des Bundesstaats New York wegen Verstößen gegen das Verbot sexueller Belästigung und geschlechtsspezifischer Diskriminierung verklagte.

Auch der angezählte Bezirksstaatsanwalt gibt sich plötzlich konsequent. Vance teilte Anfang Juli mit, er habe Weinsteins Liste mutmaßlicher sexueller Verbrechen um drei Anklagepunkte verlängert. Weinstein soll 2006 eine dritte Frau zu Oralsex gezwungen haben. „Die Grand Jury in Manhattan beschuldigt Harvey Weinstein jetzt einiger der schlimmsten sexuellen Verbrechen, die das New Yorker Strafgesetz kennt“, verkündete der Ankläger Vance. Nicht nur Battilana Gutierrez, auch die Ermittler der Special Victims Division dürften ein „Endlich!“ ausgestoßen haben.

Christiane Heil

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Rose McGowan - die Anklägerin

Kronzeugin im Fall Weinstein: Rose McGowan mit Ronan Farrow. - Foto: Noam Galai/Getty Images
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Rose McGowans Auftritte haben etwas Irritierendes. Die Schauspielerin, die als Wegbereiterin von Harvey Weinsteins Niedergang seit Monaten Hollywoods „MeToo“-­Bewegung anführt, will in keine Schublade passen. Nach ihrem Bekenntnis Anfang Oktober, 1997 während des Filmfestivals Sundance von Weinstein vergewaltigt worden zu sein, blies die 44-Jährige zum Sturm. Sie erklärte: „Mir wurde 20 Jahre lang der Mund verboten. Was mir hinter den Kulissen passierte, kann jeder Frau passieren. Wir sind stark, wir sind mutig, und wir werden kämpfen.“

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Wir sind stark, wir sind mutig, und wir werden kämpfen

Wie die Schauspielerin bei ihrem Kampf sämtliche Regeln der amerikanischen Unterhaltungsindustrie auf den Kopf stellt, war wenige Wochen später in Stephen Colberts Talkshow zu erleben. In Hoodie und Sporthose – statt des bei Abendsendungen üblichen Cocktailkleidchens – kritisierte ­McGowan Gewalt­darstellungen im kanadischen und amerikanischen Fernsehen, mokierte sich über „Anzugträger“ und setzte die katholische ­Kirche mit einer Sekte gleich. „Sie scheinen sich im Unbehagen wohlzufühlen“, kommentierte Talkmaster Colbert die Absage von ­McGowan an das traditionelle Celebrity-Interview.

McGowans Bruch mit Hollywoods Konventionen hat sie in den vergangenen Monaten zur Einzelkämpferin werden lassen. Während Schauspielerinnen wie Reese Witherspoon, Meryl Streep und Salma Hayek mit der „Time’s Up“-Kampagne gegen Sexismus und Machtgefälle in der Filmindustrie protestieren, zieht sie öffentlich über das jahrelange Schweigen ihrer potenziellen Mitstreiterinnen her.

Trost für die Opfer sexueller Gewalt auf der ganzen Welt: Der mächtige Hollywood-Boss Harvey Weinstein ist verhaftet worden.
Trost für die Opfer sexueller Gewalt auf der ganzen Welt: Der mächtige Hollywood-Boss Harvey Weinstein ist verhaftet worden.

Deren Versuch, mit schwarzen Roben auf dem roten Teppich der Golden Globes auf sexuelle Übergriffe aufmerksam zu machen, bezeichnet sie als billiges Ablenkungsmanöver. „Schauspielerinnen wie Meryl Streep, die freudig für das Schweinemonster gearbeitet haben, tragen in stillem Protest Schwarz. Aber euer Schweigen ist das Problem!!!! Ihr ändert nichts. Ich verabscheue eure Heuchelei!“, warf sie Hollywoods weiblichen Stars vor.

In McGowans Autobiografie „Brave“, die jetzt unter dem Titel „Mutig“ in Deutschland erschienen ist, führt die Aktivistin den Protest fort. Das Cover zeigt, wie McGowan den Rasierer über den militärisch anmutenden Bürstenschnitt auf ihrem Schädel fahren lässt. Die Message? Auch äußerlich hat sich die frühere „Charmed – Zauberhafte Hexen“-Darstellerin längst von Holly­woods Zwängen befreit: von mädchenhaften Locken, einfältigen Plaudereien über Filmprojekte, dem Schweigen über niedrige ­Gagen für Frauen und die epidemischen sexuellen Übergriffe.

Dass McGowan ausreichend Erfahrung mit kaputten Systemen hat, um sie als solche zu erkennen, verraten schon die ersten Kapitel ihrer Autobiografie. Als Tochter einer Schriftstellerin und eines Künstlers wuchs sie in Italien in einer Kolonie der ­kalifornischen Hippie-Sekte „Kinder Gottes“ auf. Um seine Tochter vor dem in der Gruppe erlaubten Geschlechtsverkehr zwischen Erwachsenen und Kindern zu schützen, brachte ihr zu Gewaltausbrüchen neigender Vater sie schließlich in die Vereinigten Staaten.

Es folgten Jahre auf der Straße, Drogensucht und ein Entzug als 13-Jährige. Roses erste Beziehung mit einem 20-Jährigen ­endete ein paar Jahre später mit ausgerissenen Zehennägeln. Auch Verbindungen mit dem Musiker Marilyn Manson, dem Regisseur Robert Rodriguez und dem kalifornischen Künstler Davey Detail sollen später weniger harmonisch verlaufen sein als öffentlich dargestellt.

Nach der Entdeckung durch einen Produzenten folgten Ende der 80er Rose McGowans erste Vorsprechtermine. Wie sie in „Mutig“ schreibt, gehörten zu den Auditions für Filme wie „The Doom Generation“ Probeszenen mit sexuell erregten männlichen Co-Stars.

Ihre Rollen in „Steinzeit Junior“ und „Scream – Schrei!“ machten auch Weinstein auf die hübsche, brünette Nachwuchsdarstellerin aufmerksam. Während des Filmfestivals Sundance 1997 lud „das Monster“, wie McGowan den Produzenten nennt, sie zum Frühstück in sein Hotel ein. „Ich dachte, wir würden den großen Bogen meiner Karriere planen“, erinnert sich die Schauspielerin. Der vermeintliche Geschäftstermin entwickelte sich nach wenigen Minuten zu McGowans schlimmstem Albtraum.

Frauen sollen Wut und Ärger einfach herausschreien

In ihrer Autobiografie berichtet die 44-Jährige, wie Weinstein sie auszog und auf den Rand des Whirlpools setzte. Während er masturbierte, vergewaltigte er sie oral. „Ich fühlte mich schmutzig. Ich war verletzt und tief traurig“, erinnerte sich McGowan. Eine Strafrechtlerin und auch ihre Managerin Jill Messick haben der Schauspielerin damals aber geraten, Weinsteins Übergriff für sich zu behalten, schreibt sie.

Nach über 20 Jahren hat Rose McGowan nun ihre Stimme gefunden. In sozialen Medien entlarvt sie quasi täglich neue ­Facetten der „psychischen Störung, genannt Hollywood“: Weinsteins Versuch, sie mit 100.000 Dollar und dem israelischen ­Geheimdienst zum Schweigen zu bringen; das systematische Wegsehen von Kollegen wie Ben Affleck; oder die zögerlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die Bosse der Glamourfabrik. Das Ziel ihrer Aktion #RoseArmy? „Ich möchte ­erreichen, dass Frauen Wut und Ärger hinausschreien. Davor ­haben viele Leute Angst. Und sie sollten auch Angst haben, damit sie endlich aufhören, uns auszunutzen.“

Weiterlesen:
Rose McGowan: Mutig (Harper Collins Germany, 16 €)
www.rosearmy.com

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