HUMOR: Liesl Karlstadt

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Als er sie entdeckte, war sie Verkäuferin. Dann wurde sie eine Komikerin.

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Karl Valentin wieder im Kino - vermelden in diesen Monaten stolz die bundesdeutschen Programmkinos. Die Ankündigung unterschlägt, daß das Publikum an der Seite des spindeldürren Münchner Komikers noch jemand bewundern kann: einen rundlichen Pennäler, eine biedere Hausfrau, einen schmerbäuchigen Dirigenten oder eine höflich-genervte Verkäuferin - alle miteinander dargestellt von Liesl Karlstadt. Und nicht nur das, sie ist auch Mit-Autorin und Co-Regisseurin der "Valentin"-Filme. Valentin hat Renaissance, aber die Gefährtin, die geniale Komikerin ist heute kaum noch in einem Theaterlexikon zu finden.

Wer war Liesl Karlstadt? Geboren wird sie 1892 als Elisabeth Wellano in München. Sie wächst in ärmlichsten Verhältnissen auf. Wenn die Gassenbuben dem schmächtigen Mädchen nachschreien: "Wellano, Italiano, lebst aa no?" ist das mehr als ein rassistischer Scherz. Vier von Elisabeths Geschwistern sterben im Kindesalter, vier überleben. Sie wird den unbestechlichen Blick für das Elend nie verlieren.

Liesl wird Lehrling in einer Textilfirma, dann Verkäuferin bei Hertie. Ihre Liebe aber gehört der Musik, dem Theater. Sie will zur Bühne. Da gelten Schauspielerinnen noch als "leicht zu haben". Ihre Begabung verschafft ihr ein Engagement als Soubrette in einem Volkstheater. Sie singt Couplets, spielt in Kurzfassungen bekannter Klassiker.

1910 begegnet sie dem zehn Jahre älteren Valentin. Ein Komiker, der erste Erfolge verbuchen kann. Er erkennt sofort ihr komisches Talent. Sie parodiert als erstes ein Liebeslied - und erntet rauschenden Beifall. Die Komikerin ist geboren.

Wellano klingt nach Trapez, befindet Valentin. Gemeinsam basteln sie ein bodenständigeres Pseudonym. Karl Valentin und Liesl Karlstadt - das klingt gut. Verliebt haben sie sich längst ineinander. Heiraten können sie nicht, Valentin hat eine Ehefrau und zwei Töchter.

Bald steht das Paar gemeinsam auf der Bühne. Eine der fruchtbarsten Partnerschaften der deutschen Theatergeschichte beginnt. In 30 Jahren entstehen Dutzende von Szenen und Stücken, über 30 Kurzfilme, mehr als 100 Schallplatten- aufnahmen, und dabei spielen sie noch 200 bis 300 Vorstellungen im Jahr. Ihr Stoff ist die Welt der sogenannten kleinen Leute, Liesls Welt: alltägliche Begebenheiten werden absurd übersteigert. Wortwitz und Slapstick, Clownerie und Stehgreifkomik sind die Mittel.

Mit der Premiere ist der Text keineswegs fertig. "Die allerbesten Einfälle, die witzigsten Sachen sind dann erst während der Aufführung entstanden", erzählt Karlstadt später, "und unter dem Spielen hab' ich mir gedacht: ,Das muß ich mir merken, das muß ich mir merken', und er auch - und wenn wir fertig waren, haben wir von zehn Witzen bloß mehr einen gewußt."

Während Valentin immer ähnliche, absurd philosophierende Figuren spielt, gibt Karlstadt die Partner: Kinder, Frauen, Männer. Karlstadt entwickelt keine Standardfigur wie er, sie zeigt eine Palette an komischen Figuren. Eine ihrer Paraderollen ist die des alten Dirigenten in der "Orchesterprobe". Gang, Stimme, Mimik - alles ist so perfekt, daß die Schauspielerin Fritzi Massary gesteht: "Jetzt sitz' ich geschlagene zwei Stunden ganz vorne an der Bühne und hätte nie im Leben gedacht, daß dieser Kapellmeister ein weibliches Wesen ist." Nervenärzte, Trommlerbuben, Vorstadtganoven oder Elektrikerlehrlinge - Karlstadt entlarvt die grotesken Seiten des starken Geschlechts.

In den Münchner Volkstheatern macht das Duo Furore. Wochenlang spielen sie vor ausverkauften Häusern. Kassieren Spitzengagen. Einladungen zu Gastspielen ins In- und Ausland treffen ein. Wien, Berlin, Zürich. Ihre glänzende Karriere verstellt ihnen nicht den Blick für die soziale Realität. Der erste Weltkrieg, die folgende Wirtschaftskrise produzieren viele Opfer. Karlstadt/Valentin geben Sondervorstellungen für Arbeitslose, Spenden für Armenspeisungen. Große Politik ist nicht ihre Sache.

Hinter den Kulissen allerdings beginnen die Probleme: Der geniale Komiker und zärtliche Liebhaber ist auch ein von tausend Ängsten, realen und eingebildeten Krankheiten geplagter Mensch. Überall wittert Valentin Unheil und Gefahr. Eine harmlose Zugreise wird zur lebensgefährlichen Expedition. Karlstadt beschwichtigt, tröstet, vermittelt. Valentin verfolgt sie mit Eifersucht, er, der Mann mit Ehefrau und Geliebter. Einen potentiellen Heiratskandidaten von Karlstadt droht er, "noch auf dem Standesamt" zu erschießen.

Nicht nur auf der Bühne vertauscht die Karlstadt Zopf und Mieder gegen Hose und Bubikopf. Sie lernt Autofahren, reitet, schwimmt vorzüglich, erkundet wagemutig Höhlen (während Valentin am Eingang bibbert) und wird eine passionierte Bergsteigerin. Am liebsten ist sie tagelang alleine in den Bergen unterwegs, mit ihrem Rucksack als einzigem Begleiter. Im Verhältnis zu Valentin ist sie ein ganzer Kerl. Sie geht weit, trifft sich als Mann verkleidet sogar mit einer Verehrerin. Karlstadts bitter-braver Biograph Riegler versichert beruhigend, das sei natürlich nur ein Jux gewesen ... Aber ist eine Schelmin, wer sich auch anderes denken kann?

Mit dem Erfolg beginnt die Legendenbildung. Valentin wird zum Kopf des Unternehmens stilisiert, Karlstadt zu seinem Geschöpf. Der urkomische Valentin und seine brave Liesl - so will es die Münchner Mythologie noch heute. Und wenn Karlstadt 150 Mark Gage bekommt (und damit an einem Abend mehr verdient wie als Verkäuferin im ganzen Monat), kassiert Valentin das Doppelte. Uralte Klischees werden bemüht. Der Grund für Karlstadts Können liegt "in ihrer warmen und klaren, ganz und gar weiblichen, schwesterlichen, mütterlichen Menschlichkeit".

Dabei sind ihre Frauenfiguren alles andere als patriarchaler Kitsch. Da gibt es müde-geduldige Verkäuferinnen (Tietz läßt grüßen), Arme auf Wohnungssuche oder scharfzüngige Obstverkäuferinnen. Und im "Theaterbesuch" kann sich die Mutter partout nicht mehr an den Namen ihres Sohnes erinnern und tituliert ihn mit "sehr geehrter Herr!". Das ist die Mütterlichkeit einer Komikerin.

Die Herausgeber der neuen, kritischen Valentin-Gesamtausgabe bei Piper haben im Nachlaß eine Aufstellung entdeckt, in der Karlstadt mit Prozentzahlen offensichtlich ihren Anteil an den Texten vermerkt hat, "Idee" steht da: 20 %, 100 % oder auch
50 %. Es ist zu hoffen, daß die Herausgeber daraus die richtigen Schlüsse ziehen und den Anteil Karlstadts neu bewerten. Der Piper-Verlag hat an Karlstadt viel gut zu machen, hat er doch jahrelang in seinen "Valentin"-Ausgaben den Anteil Karlstadts konsequent unterschlagen. Den Erben Karlstadts wurden von den Tantiemen der Hauptstücke mit Ach und Krach 25 % zugestanden.

Doch das Verschweigen ihres Anteils begann zu Lebzeiten. Die öffentliche Zurücksetzung und private Abhängigkeit werden für Karlstadt immer schwerer zu ertragen. Die Partnerschaft, einst große Chance, wird zur Fessel. 1931 übernimmt Karlstadt an den Kammerspielen die Hauptrolle in einer Boulevard-Komödie. Mit Erfolg. Andere Engagements folgen. Valentin verfolgt diese Ausflüge mit Mißbehagen. Er versucht, ihr die gemeinsame Arbeit mit Szenen wieder schmackhafter zu machen, in denen sie stärker im Mittelpunkt steht.

Sie läßt ihn nicht im Stich. Zweimal tritt sie am Abend auf: Erst in den Kammerspielen, danach im Volkstheater mit Valentin. Ihr Ausbruchsversuch ist nicht konsequent genug. Sie zahlt einen hohen Preis. 1935 erleidet Karlstadt einen Nervenzusammenbruch. Äußerer Anlaß: Valentin hat ein Panoptikum eröffnet und Karlstadt läßt sich trotz ihres Widerwillens vor dem makaber-sadistischen Unternehmen überreden, den größten Teil ihrer Ersparnisse zu investieren. Das Panoptikum macht Pleite. Valentin hat wieder einmal seine Ängste und Phantasien auf ihre Kosten ausgelebt.

Sie macht einen Selbstmordversuch, wird in eine Nervenklinik eingeliefert. Valentin, der jahrelang seine Depressionen bei ihr abgeladen hat, reagiert hilflos. "Ich laufe nur als 'Hälfte' in München herum", klagt er ihr und schwört: "Ich arbeite nur mit dir allein oder gar nicht."

Schon bald jedoch spielt er mit der jungen Schauspielerin Annemarie Fischer, die Männerrollen von Karlstadt werden ab jetzt von Männern übernommen. Das schmerzt. Karlstadt zwingt sich, wieder zu spielen. Aber sie ist schwer angeschlagen, erleidet auf offener Bühne "unerklärliche" Weinkrämpfe.

Sie ist so klug, München zu verlassen. 1941 geht sie nach Tirol. Auf der Ehrwalder Alm schließt sie Bekanntschaft mit den Gebirgsjägern und ihren Maultieren, die im unwegsamen Gebirge zu Transporten eingesetzt werden. Karlstadt lernt, mit den Tieren umzugehen, und bald führt sie allein zwei Mulis über die Berge. In einer improvisierten Uniform, den Orden König Ludwigs an der Brust (den sie für Lazarettauftritte im Ersten Weltkrieg bekommen hatte) wird sie zum "Gefreiten Gustav". Eine Realkomödie in Kriegszeiten. Die Vorgesetzten befördern die erste und einzige weibliche Mulitreiberin der Wehrmacht augenzwinkernd zum Stabsgefreiten. Doch hätte sie eines der Tiere in den Bergen verloren, sie und ihre Mitwisser wären unweigerlich vor dem Kriegsgericht gelandet. Selten und ungern kommt sie nach München.

Während des Krieges werden die Auftritte ohnehin spärlicher. Satire und Diktatur - das paßt nicht zueinander. Der Karlstadt/Valentin-Film "Erbschaft" wird wegen seiner "sozialen und Elendstendenzen" verboten. Schließlich sind beide völlig von der Bühne abgeschnitten.

1945 wird es nicht besser. In das Harmoniebedürfnis der Nachkriegsgesellschaft, die kollektive Verdrängung paßt kein schwarzer Humor. Das Radio boykottiert die Stars der Vorkriegszeit. Nach einer langen Durststrecke tritt das Duo Ende 1947 wieder auf. Doch schon kurz darauf, im Februar 1948, stirbt Valentin.

Karlstadt baut sich am Theater eine zweite Karriere auf. Nicht so glanzvoll wie die erste, aber für eine 56jährige Frau beachtlich. Sie spielt in "Arsen und Spitzenhäubchen", Stücken von Fleißner, Annouilh, Bauernkomödien von Thoma. Tritt in Filmen auf - auch wenn sie sich mit Nebenrollen begnügen muß. Doch mit den Hosenrollen ist es vorbei. Wo Frauen wieder an Heim und Herd verwiesen werden, ist kein Platz für eine Komikerin, die durch ihr Spiel alle Geschlechterrollen sprengt. Hausmannskost ist angesagt. Aus einer Radiosendung mit Tips für Hausfrauen entwickelt sich die Hörspielserie "Familie Brandl". Die Serie wird ein Renner, eine Art Lindenstraße der 50er Jahre. Bald wird Karlstadt auf der Straße mit "Mutter Brandl" angesprochen, nach Gatten und Sohn gefragt. Es ist bezeichnend, daß die "Mütter der Nation" oft weder Mütter noch Hausfrauen sind. Liesl Karlstadts Haushalt wurde von Schwester Amalie geführt.

Im Juli 1960 stirbt Liesl Karlstadt in Garmisch an einem Gehirnschlag. Ende der 60er Jahre erleben die Karlstadt/Valentin-Stücke eine erste Renaissance. Bühnen im gesamten deutschsprachigen Raum nehmen die Komödien auf den Spielplan. Übersetzungen erscheinen. Die "Orchesterprobe", Karlstadts Paradestück, wird auf der ganzen Welt gespielt. Von wem das Stück ist? Vom großen Valentin, von wem sonst?
Anne Schulz, EMMA 2/1993

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