Männer, jetzt sind wir dran!

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Der Fall Harvey Weinstein markiert eine Zeitenwende. Zum ersten Mal können mächtige Männer nicht mehr sicher sein, dass sie mit sexuellen Übergriffen einfach so davon kommen. Die männlichen Reaktionen darauf schwanken zwischen Hysterie und (ein wenig) neuer Nachdenklichkeit.

Eigentlich wissen sie ja immer alles und das besser. Aber sobald es um Sexismus geht, verwandeln sich deutsche Leitartikler in schlecht gelaunte Fragezeichen: „Sind wir Männer plötzlich alles kleine Weinsteins?“, meckert Jochen-Martin Gutsch im Spiegel: „Der Mann eine einzige sexuelle Belästigung?“ Oder „Warum eigentlich ­debattieren wir seit Wochen erneut darüber, wie viele Frauen offenbar Gewalt von Männern erfahren?“, fragt ein genervter Bastian Brauns vom Cicero. Und überhaupt: „Kann mir bitte jemand sagen, wie man einen Hashtag einrichtet?“ Denn er, Henryk M. Broder, Lohnpöbler bei der Welt am Sonntag, will auch einmal „#MeToo“ schreien. Lange schon hat er „die Nase voll von Frauen, die sich als Opfer inszenieren, nur weil sie versehentlich als ‚jung und schön‘ bezeichnet wurden“.

Man hat ihnen wieder einmal die Aufmacher und Titelseiten reserviert (die ­AutorINNEN schreiben meist hinten im Vermischten). Feuilletonchef Adam Sobo­czynski etwa darf auf Seite 1 der Zeit Millionen Opfer sexueller Gewalt anraunzen: „Wer Vergewaltigungsfälle dazu nutzt, kleine Alltagsrechnungen zu begleichen, verharmlost schwere Straftaten“. Spiegel-­Kolumnist Jan Fleischhauer seinerseits warnt: „Vorsicht bei Kerlen, die sich besonders verständnisvoll geben. Wenn es eine Lehre aus dem Weinstein-Skandal gibt, dann, dass man niemandem trauen sollte, weil er sich als ­Feminist geriert.“

Nun war der notorisch ungehobelte Harvey Weinstein nie als „Feminist“ verschrien und schon gar nicht als „besonders verständnisvoll“. Aber Fleischhauer geht es auch weniger um den. „Wenn man es ernst meint mit der Frage nach der Verantwortung des gesellschaftlichen Umfeldes“, fährt er fort: „dann muss man auch über die Rolle der Frauen reden, die Bescheid wussten, aber lieber stumm blieben.“ Wenn sie dann allerdings laut werden, ist es auch wieder nicht recht. Im Freitag erkennt Arno Frank angesichts von knapp zwei Millionen #MeToo-Einträgen bereits die „autoritären Züge einer Massenbewegung“. Er jedenfalls werde „seine Töchter nicht dazu anhalten, nachträglich auf 140 Zeichen irgendwelche Schikanierungen zu teilen“.

Dabei geht es nicht um „irgendwelche Schikanierungen“, sondern um Macht. Männermacht. Schließlich hört man eher selten, dass eine junge Schauspielerin ­einen Filmproduzenten ins Badezimmer drängt und ihn zwingt, ihr beim Masturbieren zuzusehen, weil sie sonst nicht in seinem Film auftritt. Oder dass zügellose Praktikantinnen ihren Vorgesetzten in die Hose greifen.

Übrigens ist es auch nie der Praktikant, der seine Chefin belästigt, oder der Aushilfskassierer, der seine Filialleiterin ins Warenlager zieht, um sie zu betatschen. Sexuelle Gewalt folgt meist der Hierarchie von oben nach „unten“. Sie wird in einem Klima genährt, in dem Männer am liebsten unter sich bleiben und als grotesk überrepräsentierte Führungskräfte über Karrieren von Frauen, über Gehälter und Unternehmenskulturen entscheiden. Sexis­mus ist ihre Waffe, die Frauen auf die ­hinteren Plätze verbannen und zum Schweigen bringen soll.

Es ist diese hartnäckige Blindheit ­gegenüber diesem Machtgefälle, diese dröhnende Selbstgewissheit, mit der die Autoren die Sexismus-Debatte am liebsten abräumen würden, die einen so verstört. Dazu der völlige Mangel am Empathie für die Opfer sexueller Gewalt und Belästigung, von denen es – allen Studien zufolge – auch in Deutschland Millionen gibt. Dass da nicht mal einer der Herren Autoren innehält, um sich zu fragen, was womöglich schiefläuft, wenn so viele Frauen so viele Horrorgeschichten zu ­erzählen haben …

Folgt man Alexander Grau vom Cicero, sind diese allerdings irgendwie schon auch, jedenfalls ein bisschen, also durchaus mitschuld daran, wenn ein Mann sich mal vergisst: „Es ist Ausdruck eines geradezu autistischen Narzissmus, zu glauben, es sei das Recht eines jeden, sich als sexuell ­hyperaktives und hedonistisches Individuum zu inszenieren, ohne dabei die Schattenseiten dieser entfesselten Libido einzufahren.“ „Am Ende“, ergänzt sein Kollege Bastian Brauns, „ist das auch eine Charakterfrage. Hier gefällt ein freundschaftlicher Klaps auf die Schulter oder ein Kompliment zum Sitz der Hose. Dort ist das schon längst zu viel des Guten.“ Sexismus als „Charakterfrage“ – der Frauen. Es ist ein Aufschrei ganz anderer Art, der hier ­ertönt. Denn die Einschläge kommen ­näher. Die „Welle sexualethischer Korrektheit, die puritanische Züge trägt“ (Alexander Grau) überrollt Filmproduzenten, Moderatoren, Politiker, Topjournalisten, Manager. Auf einmal verlieren selbst hochstehende Grapscher und Vergewaltiger ihre Jobs, solidarisieren sich auch männliche Superstars wie Benedict Cumberbatch, Ryan Gosling, Mark Ruffalo oder Leonardo DiCaprio mit den mutigen Schauspielerinnen.

Regisseure und Produzenten wie Paul Feig („Brautalarm“) oder Judd Apatow („Girls“, „Jungfrau (40), männlich, sucht …“) fordern Frauenquoten bei Sendern und Filmstudios und greifen Anwälte an, die sich an die Seite der Täter stellen. Nicht mal auf Til Schweiger („Ich bewundere den Mut der Frauen“) oder Elyas M’Barek („Ich unterstütze alle Feministen dieser Welt“) kann mann sich noch verlassen.

Da gerät etwas ins Rutschen und bei deutschen Kommentatoren regt sich Besorgnis, ja: Mitleid. Allerdings nicht für die belästigten Frauen. „Die Beschuldigten werden beim Namen genannt, einige haben ihre Jobs sofort verloren. Man kann sie alle googeln …“, beweint Andreas Rosenfelder in der Welt am Sonntag das Schicksal der Angeprangerten und attackiert das „24/7 Standgericht“ als neue „Inquisition“. Im Deutschlandfunk warnt der Prominentenanwalt Christian Schertz deutsche Frauen vorsorglich, die Täter-Namen zu ihren Geschichten zu verraten. Für die Beschuldigten seien solche Vorwürfe schließlich „lebenslaufvernichtend“. Von den zerstörten Leben missbrauchter Frauen redet er nicht.

Dabei steht der große Dammbruch in Deutschland noch bevor. Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Artikels kursieren die vielen Geschichten über mächtige deutsche Grapscher und Vergewaltiger noch in anonymisierten Versionen. Doch kurz nachdem Harvey Weinstein als Massenvergewaltiger geoutet wurde, kursierte in Berlin eine Liste mit den Namen deutscher Prominenter, für die es noch einmal richtig ungemütlich werden könnte.

So schreibt Carolin Würfel in der Zeit (ein Auszug): „Ihr seid der Verleger, der kein Nein versteht und Frauen ungefragt zur Begrüßung in den Schritt greift. Der Künstler, der Frauen zum Sex zwingt. Der Galerist, der seine Hände nicht bei sich lassen kann. Ihr seid der Journalist, der seine Lippen ungefragt auf Frauenmünder presst. Der Herausgeber, der Mitarbeiterinnen schikaniert, weil sie nicht mit ihm schlafen wollen. Die Architekten, die Frauen mit Alkohol und Drogen abfüllen, um sie dann, wenn sie schon fast bewusstlos sind, gemeinsam durchzuvögeln.“

Wer weiß, ob diese und auch die vielen anderen Geschichten wirklich unerzählt bleiben werden: Die über einen ehema­ligen deutschen Außenminister zum Beispiel, der Journalistinnen anbot, „ihr Innenminister“ zu sein. Oder über die im Sande verlaufenen Ermittlungen gegen den mächtigen Medienmann, dessen allerbeste Kontakte von Mann zu Mann deutsche Redaktionen offenbar von der Veröffentlichung ihrer aufschlussreichen Recherchen abhielten.

„Die wenigsten Männer sind Täter“, heißt es in einem Videoclip zum Twitter-Hashtag #HowIWillChange, aber „die meisten Männer schweigen“. Dass sich die Täter darauf nicht mehr verlassen sollten, deutet sich bereits an. In der ­Süddeutschen schreibt Christian Mayer: „So wie die, sagen immer mehr Männer, wollen wir nicht mehr sein. Und mit ­Angebern, die ständig ihre Potenz beweisen müssen, mit Möchtegern-Alpha­männchen, die Macht brauchen, damit sie sich überlegen fühlen können, wollen wir nichts zu tun haben.“ Die Me-Too-­Debatte sei auch eine Chance für die Männer – „Not-Me“ zu sagen. „Auch ich“, schreibt Sebastian Hofer in dem Wiener Magazin Profil „habe mitbekommen, wie Frauen von Männern in ihrem Beruf nicht für voll genommen wurden, und habe nichts dagegen gesagt. Auch ich habe Kolleginnen in Sitzungen unterbrochen, weil ich meine eigene Meinung in dem Moment für sehr viel wichtiger hielt. Das war in erster Linie egoistisch, in zweiter Linie aber eben leider auch sexistisch.“ Für das eigene Verhalten, braucht es keine Seminare oder Nachhilfekurse. „Es ist übrigens für Männer gar nicht so schwierig zu verstehen, dass es eine sehr klare Grenze gibt zwischen Flirt und Übergriff“, schreibt er. „Wem Paragrafen zu weltfremd sind, der kann es aber auch gern mit einer ziemlich deppensicheren Regel versuchen: Nein heißt nein, und nicht: Probier’s nochmal.“

Unter dem Twitter-Hashtag #HowIWillChange, den der australische Journalist Benjamin Law ins Leben gerufen hat, diskutieren Männer, was sie gegen Missbrauch und Frauenverachtung tun können und hinterfragen dabei auch ihr eigenes Verhalten. Vielleicht ist 2017 noch nicht das Jahr, „in dem das alte Männerideal endgültig ausgedient hat“ (Clemens Mayer), aber ein zarter Anfang für einen wirklichen „Change“. Wie der aussehen kann, ist klar:

Alle Männer, die Frauen wirklich achten oder sogar lieben, sollten den Kampf aufnehmen und anfangen, Sexisten öffentlich bloßzustellen. Sie sollten mithelfen, an ihren Arbeitsplätzen endlich die Institutionen und Regelwerke zu schaffen, in denen belästigte und missbrauchte Frauen echte, konkrete Hilfe finden. Und sie sollten anfangen, die 70, 80, 90-prozentige Männerquote aufzulösen, die an der Spitze von Wirtschaft, Politik, Medien und Kultur noch immer das gleichberechtigte Miteinander zwischen den Geschlechtern blockiert. Die Frauen haben sich vorgewagt, gegen alle inneren Ängste und Traumata. Jetzt sind wir dran.

Fred Grimm
arbeitet frei für diverse Magazine, er hat eine Tochter. In der letzten EMMA schrieb er: "Unter Männern" (6/17)

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Unter Männern

Männer im Bundestag. In der Mitte der CDU-Abgeordnete Jens Spahn.
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Ein Jahr ist das jetzt her und sie hassen Hillary noch immer. „Halt die Fresse, Alte!“ oder „Verpiss dich endlich!“ liest man in Amazon-„Rezensionen“, die da auf die Seite von Clintons Wahl-­Memoiren „What Happened“ gekotzt wurden. Auch die Presse mag von der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin nichts mehr hören, drückt sich aber kultivierter aus.

Peter Winkler von der Neue Zürcher Zeitung nerven an „What happened“ die „Schuldzuweisungen einer Geschlagenen“. Stefan Kornelius (Süddeutsche) psychologisiert: „Am Ende ist sie auch an ihrer Persönlichkeit gescheitert.“ Und Stephan-Götz Richter vom Cicero urteilt über „die Uneinsichtige“: „In ihren Memoiren lehnt Hillary Clinton jede Verantwortung für die Niederlage gegen Donald Trump ab. (Sie) bleibt ihrer langjährigen, diva­haften Linie treu: Schuld sind immer die anderen.“ Nun finden sich zwar bereits beim flüchtigen Blättern Dutzende selbstzerfleischende Zitate („Ich Depp!“, „Meine Verantwortung“, „Meine Fehler verbrennen mich von innen“ usw.), aber vielleicht hat das englischsprachige Original den Cicero-Rezensenten auch einfach überfordert.

Ein Jahr ist das jetzt alles her – dieser hässlichste, ärgerlichste, bizarrste und traurigste US-Präsidentschaftswahlkampf aller Zeiten; diese Horrornacht, in der das orange-goldene Zeitalter Trumps begann und in der mir noch einmal so richtig klar wurde, wie fremd ich mich manchmal auch hierzulande fühle – als Mann. Denn bis heute habe ich zwar viele Geschlechtsgenossen getroffen, die Trumps Triumph schockierte. Aber so gut wie keinen, der bedauert hätte, dass Hillary verloren hat. Jedenfalls nicht so sehr wie ich.

Mit Donald Trump siegte das Sinnbild entfesselter, privilegierter, dauererigierter Männlichkeit. Ein Typus, der mich ankotzt, seit ich einigermaßen denken kann. Mit ihm siegte mein Sportlehrer von früher, der den Mädchen immer seine „Hilfestellung“ aufdrängte. Mit ihm gewann auch mein ehemaliger Mathelehrer, der im Unterricht von seinen Bordellbesuchen in Amsterdam, von den „Negerinnen im Schaufenster“ schwärmte. Oder der Vorgesetzte, der nach dem kritischen Konferenzbeitrag einer jungen Kollegin sagte: „Und nun werden wir mal wieder ernst!“ Oderoderoder.

Im schlimmsten Fall signalisiert ein „Präsident Trump“ (irgendwie lese ich das lieber in An- und Abführung) den größten Sieg im Krieg gegen die Frauen, der weltweit auf so vielen Ebenen tobt. Im günstigsten Fall bringt er jeden Mann dazu, sich endlich auf die richtige Seite der Geschichte zu stellen.

Es tut mir leid, aber ich muss noch einmal zurückkommen auf diese bittere Wahl, denn es wird, ein Jahr danach, immer wichtiger, dass sie nicht ein zweites Mal verloren geht. Geschichte wird von den Siegern ­geschrieben, heißt es, und die schreiben sie garantiert um. Denn natürlich hat Hillary Clinton die Wahl nicht verloren, weil sie „die falsche Kandidatin“ war. Es ist ja ohnehin niemals „die Richtige“, wenn es wirklich um etwas geht. Nicht bei der ameri­kanischen Präsidentschaft, nicht beim Vorstandsvorsitz, nicht für die Regie bei ­einem großen Film oder bei der Frage, wem man, besser: wem Mann das Kapital für ein Start-Up anvertraut, eine Chefredaktion oder den Chefarztjob.
Immer stört etwas an den Kandidatinnen: Zu laut oder zu leise, zu schlau oder zu doof, zu alt oder zu jung, zu unscheinbar oder zu schön, zu ehrgeizig oder zu weich, zu lustig oder zu öde, oder eben einfach: zu Frau.

Hillary Clinton hat die Wahl ihres ­Lebens am letzten Oktoberwochenende 2016 verloren. Zehn Tage vor der Abstimmung drängte plötzlich der längst abgeschlossene „E-Mail-Skandal“, der eigentlich nie einer war, wieder in die Schlagzeilen. FBI-Chef James B. Comey, ein Republikaner, hatte „mögliche neue Erkenntnisse“ angekündigt, die sich ein paar Tage später in Luft auflösen sollten. Aber da war es bereits zu spät.

Der amerikanische Starstatistiker Nate Silver kommt in einer Feinanalyse sämtlicher Umfragedaten zu dem Schluss, dass Comeys Attacke Hillary Clinton in Wechselwählerstaaten wie Pennsylvania, Wisconsin oder Michigan letztlich zwischen zwei und vier Prozentpunkte gekostet haben. Mindestens drei große Bundesstaaten mehr hätte Clinton also ohne den Comey-Skandal gewonnen und damit auch die Präsidentschaft. Nein, das ist keine Verschwörungstheorie. Das kann man nachlesen und nachrechnen. Hillary Clinton, die sich traut, in „What Happened“ darauf hinzuweisen, ist keine „schlechte Verliererin“, wie ihre Rezensenten schreiben, sondern eine Betrogene.

Sensationell, wie dieses perfide Manöver so schnell vergessen werden konnte, denn da passte einfach alles: Eine FBI-Einheit, in der, ganz zufällig, ehemalige Mitarbeiter des Trump-Wahlkämpfers Rudy Giuliani ihre Dienste leisteten, wollte ausgerechnet auf dem Laptop von Anthony Weiner, des notorischen Penisfotoversenders und Ex-Ehemanns von Clintons engster Mitarbeiterin und Freundin Huma Abedin, neue, belastende Mails gefunden haben. Im Rahmen einer Untersuchung wegen „Sextings mit einer 15-Jährigen“. Es gelang, die Kandidatin in der wichtigsten Phase des Wahlkampfes in eine „Breaking News“-Spirale zu verwickeln, in der pausenlos die Worte „Anthony Weiner“, „sexting“, „15-year old“ und „Clinton“ über die Monitore liefen, bis auch der letzten weißen Wechselwählerin, die eigentlich für Hillary stimmen wollte, Zweifel kamen.

Niemand sprach mehr über Donald J. Trump, den bekennenden „Pussy“grabscher, der als Veranstalter von „Miss Teen“-Wahlen regelmäßig in die Umkleidekabinen platzte, seine erste Ehefrau (laut deren Autobiografie) vergewaltigt hatte, die Brüste seiner Tochter lobte, live im Fernsehen mit seiner Penisgröße prahlte, TV-Moderatorinnen beschimpfte, sie hätten wohl ihre Tage, oder Hinweise auf (nicht existierende) Pornos einer ehemaligen Miss Universe twitterte.

Damit kommt man also durch. Und hier? Der „Präsident Trump“ geht den NachrichtensprecherInnen inzwischen so leicht von den Lippen wie der Übergang zum Wetter. Die Normalisierung des moralischen, geistigen und sehr realen Ausnahmezustandes, der die Präsidentschaft dieses fleischigen Vollidioten prägt, scheint gelungen. Aber die wichtige Frage bleibt: Wie viel Trump steckt eigentlich in diesem Land? Unter uns Männern? Wenn man sich so umhört und umschaut, spürt man überraschend viel von der Wut, die auch einen Trump ins Amt gespült hat – die Wut auf die Frau. „Der Faschismus ist vom Feminismus noch übertroffen worden mit seinem Menschenhass der diesmal auf Männer abzielt statt auf Juden“, schreibt da ohne Sinn und Komma ein „omegawood“ auf einer „Männerseite gegen feministische Hetze“. Und der Omegaholzkopf warnt: „Diesmal ist alles verdeckt und kommt still angeschlichen.“ Man könnte ganze Bibliotheken mit solchen fiebrigen Ausgeburten scheinunterdrückter Männlichkeit füllen. Das Internet wirkt wie ein Schutzraum und ein Brandbeschleuniger zugleich, schließlich müssen sich die Verfolgten ja irgendwie wehren, gegen die Frauen. „Man sollte dich köpfen!“ hatte einer dieser Wehrhaften, Internetname „Andreas Blodau“, der Grünenpolitikerin Renate Künast vor einiger Zeit ganz zwanglos auf Facebook vorgeschlagen. Eine „überzogene Kritik“ nannte das ein Staatsanwalt aus Berlin, der wegen einer solchen Lappalie kein ­Ermittlungsverfahren einleiten mochte.

Als sich vor den vergangenen Bundestagswahlen keine Grünenfrau fand, die als mögliche Spitzenkandidatin gegen Katrin Göring-Eckardt antreten mochte, hatte das auch mit der Unlust auf die Wutmännerjauche zu tun, die sich regelmäßig über politisch exponierte Frauen ergießt. Töten oder Ficken, andere Verwendungsmöglichkeiten für Frauen scheinen in der Wahnwelt beängstigend vieler Männer nicht vorgesehen. Es gibt wahrscheinlich keine Politikerin mit Facebook- oder Twitter-Account, der nicht schon mal ein echt eichendeutscher Mann eine Gruppenvergewaltigung nahegelegt hat.

Diese Denke ist auch in ihrer milderen Variante unerträglich. Im Spätsommer ­berichtete die Hamburger Bild-Zeitung über ein 17-jähriges Mädchen, das via Ebay einen Babysitter-Job suchte. Wenige Stunden, nachdem ihre Anzeige erschien, lagen bereits 37 ungelenk formulierte ­Angebote vor. Nicht eines davon ohne ­sexuellen Hintergrund.

Gerade wenn ich so etwas lese, frage ich mich, wann wir bitte endlich damit aufhören dürfen, die Welt auf Werbeplakaten mit den Augen von Donald Trump zu ­sehen: Halbnackte junge Mädchen, die für Fitnessstudios werben („Mit der Figur brauche ich kein Abitur“); Frauen­ärsche oder Brüste als Deko – die Körper ohne Kopf, denn den brauchen Frauen ja nicht. Außer für imaginierte Blowjobs ­natürlich.

Die Besessenheit, mit der auf Werbeplakaten Gegenstände in Frauenmünder hineingeschoben werden, hat beinahe schon etwas Tragikomisches. Vor allem, wenn man sich vorstellt, dass da wirklich mal Männer vor solchen Bildern stehen und sagen: Ja, das da ist es! Und am Abend reißen sie Witze über Donald Trump, weil der mal wieder einen Ländernamen vergisst.

Es ist kein Zufall, dass sich ausgerechnet eine liberale Medienfantasie wie Christian Lindner so vehement gegen das Verbot sexistischer Werbung ausgesprochen hat. Im Namen der „Freiheit“. Denn die wird ja bedroht, wenn wir aufhören, unsere Stadtlandschaften mit Frauen in demütigenden Posen „erotisch“ aufzuladen.

Ja, eine Prise Trump steckt auch in dem FDP-Mann, der als modern gilt, weil er sein Smartphone richtig herum halten kann, und der natürlich auch mitbekommen hat, dass sein Publikum immer dann besonders laut jubelt, wenn er Worte wie „Frauenquote“ ausspricht, als würde er dabei auf ein benutztes Tampon beißen. Es sind gerade die Smarten wie Lindner, die sich Welten entfernt wähnen von einem Primitivling wie Trump und doch im tiefsten Inneren gern auch mal so ticken wie der. Gerade dann, wenn ­ihnen die Weiber in die Quere kommen.

Claus Kleber zum Beispiel, Heute Journal-­Moderator, der neulich von ­Maria Furtwängler wissen wollte, ob sie „demnächst auch noch Benjamin Blümchen gendermainstreamen“ wolle. Törööö! Dabei hatte Furtwängler nur auf eine Studie verwiesen, nach der im deutschen Kinderfernsehen auf vier männ­liche gerade mal eine weibliche Haupt­figur kommt. Kann man sich ja mal fragen, ob das auch so bleiben muss, aber Kleber, als „Vater von zwei Töchtern“ sozusagen als Emanzipator geadelt, kriegte sich nicht mehr ein.

Und so lernte der ZDF-Zuschauer auch noch, dass Frauen „lieber Männerstimmen hören“ und „Hollywood“ ja wissen müsste, was es tut, wenn es Frauen im Kino eher Nebenrollen spielen lässt. „Die wollen schließlich Geld verdienen.“ Eine Woche nach diesen Kleberigkeiten kam übrigens „Girls Trip“ in die US-Kinos, eine Komödie mit vier schwarzen HauptdarstellerINNEN, die mit 132 Millionen Dollar sieben Mal mehr einspielte, als sie gekostet hat.

Eigentlich dachte ich ja immer, es gäbe noch furchtbar viel zu tun im Kampf um die Gleichberechtigung. Im ganz Großen wie im vermeintlich Kleinen, etwa bei der Hausarbeit. Dass beim immer noch vorherrschenden Familienmodell aus der ­Nazizeit Mutti weniger für Geld arbeitet und dafür lieber für umsonst, also putzt, kocht und die Kinder hütet, während Papi verdient, das mag ja noch unter „Aufgabenverteilung“ fallen. Aber dass die Frau auch dann 30 Prozent mehr im Haushalt macht, wenn beide gleich viel im Job ­arbeiten, entlarvt den deutschen Mann.

„Der sieht das einfach nicht“, habe ich mal von einer erfolgreichen Unternehmensberaterin gehört, die abends „noch schnell den ­Abwasch“ macht, während ihr Mann auf der Couch sein Smart­phone studiert. Er würde ja gern auch mal die Spül- oder Waschmaschine bedienen, aber er, der so eindrucksvolle Filme mit seiner hochkomplexen neuen Kamera­drohne dreht, „kapiert einfach nicht, wie das geht“. Vielleicht ein Trost – der neue US-Präsident kann das auch nicht.

Zwei von drei deutschen Männern denken laut einer Umfrage, dass es nun auch mal gut sei mit der Emanzipation, mit Quotenregeln, Anti-Sexismus und diesem ganzen Scheiß. Schließlich sei die Gleichstellung längst erreicht. Von 676 Vorstandsmitgliedern der 160 an der Frank­furter Börse gehandelten Unternehmen sind nur 46 Frauen, also nicht mal sieben Prozent. Frauen haben aber nicht nur immer noch eher wenig zu ­sagen, wo es was zu sagen gibt, sie bekommen auch weniger Geld für ihre Arbeit. ­Minus 27 Prozent in der Summe ihres Lebens, hat die Online-­Jobbörse „Stepstone“ gerade erst in einer großen Studie herausbekommen. Sechs Prozent weniger bei exakt gleicher Tätigkeit, steht im Gleichstellungsbericht des Bundesfamilienministeriums.

Frauen „dränge“ es nun mal in die ­Berufe, die schlechter bezahlt werden, heißt es immer wieder. Mir hat noch niemand erklären können, warum ein Müllmann, der voll geschissene Windeln in seinem Laster herumfährt, 1.000 Euro mehr im Monat „verdient“ als die Kita-Erzieherin, die am Tag zehn von diesen Windeln in die Tonne wirft. Aber, so ZDF-Moderator Claus-Benjamin Kleber-Blümchen, der übrigens angeblich doppelt so viel kassiert wie seine Kollegin Marietta Slomka: „Im Leben bekommt man nicht, was man verdient, man bekommt, was man aushandelt!“ Aushandeln, das macht Herr Kleber natürlich mit dem Herrn Intendanten persönlich. Ganz unter Männern spricht sich über sowas eben leichter.

Ein Jahr ist das jetzt her, dass Donald Trumps Siegergesicht über die Bildschirme flackerte. Seitdem lassen wir uns das ­Märchen gefallen, Hillary Clinton hätte die Wahl verloren, weil sie die Kandidatin war, „die keiner will“ (Die Zeit). „Eine Frau mit zu viel Verstand“ (Süddeutsche), die „versucht, menschlich zu wirken“ (Stern), „vorgibt, eine Frau zu sein“ (Süddeutsche), aber „an ihrer größten Schwäche“ scheitert: „Ihrem eigenen Ehrgeiz“ (Cicero).

Wir lassen uns solchen Dreck einreden, der gegen alle weiblichen Ambitionen gerichtet ist, und auch, dass wir keine Quoten brauchen, weil das Geschlecht etwa beim Führen eines Unternehmens nun wirklich keine Rolle mehr spielen sollte. So lange es weiter männlich bleibt. Wir lassen zu, dass Frauenkörper nicht den Frauen ­gehören, sondern jenen, die sie ausstellen, benutzen und bewerten dürfen, weil sie die Macht dazu ­haben. Wir erlauben widerliche Pöbeleien im Netz, selbst Morddrohungen, weil wir nicht kapieren, dass da ein Kampf tobt, der unseren Frauen, unseren Freundinnen, Kolleginnen, Müttern und Töchtern generell den Mund verbieten will. Und Hillary Clinton sowieso.
Wir stehen da wie die Trump-el.

Fred Grimm

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