Alice Schwarzer schreibt

§ 219a: Der Skandal bleibt!

Foto: epd/Imago
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Seit Jahren werden ÄrztInnen wie Kristina Hänel, die auf ihrer Website informiert hatte, dass und wie sie Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, von fanatischen so genannten „Lebensrechtlern“ angezeigt (EMMA berichtete). Der aktuelle Gesetzentwurf verweist auf diese ÄrztInnen, die auf Basis des Paragrafen 219a verurteilt wurden. Sie sollen künftig straffrei über Abtreibung informieren dürfen. Doch damit ist der Skandal noch lange nicht beendet. Denn selbst nach der Abschaffung des §219a werden Frauen weiterhin vom halbherzigen §218 bedroht.

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Über eines wird im Zuge der Debatte über den §219a nur wenig geredet: über den §218. Denn der verbietet ungewollt Schwangeren bis heute, abzutreiben – und droht mit einer Geldstrafe oder bis zu einem Jahr Gefängnis! „Straflos“ ist laut §218a die Schwangere nur, wenn ein Arzt den Abbruch nicht später als in der zwölften Woche vornimmt – und wenn die ungewollt Schwangere mit der Bescheinigung einer „Beratungsstelle“ nachgewiesen hat, dass sie mindestens drei Tage vor dem Eingriff beraten wurde.

Die Frau darf nicht selbst über eine Schwangerschaft entscheiden!

Was will uns der Gesetzgeber damit sagen? Ganz einfach: Dass die Frau nicht selbst entscheiden darf, ob sie eine Schwangerschaft austragen will oder nicht – sondern dass sie bei einem „Experten“ darum bitten muss, das tun zu dürfen. Der Kern des alten §218, der ein uneingeschränktes Abtreibungsverbot postulierte, ist damit erhalten: Die Frau darf eine so lebensentscheidende Frage wie „Mutterschaft Ja oder Nein“ nicht selbstbestimmt entscheiden! Vater Staat setzt ihr einen Vormund vor die Nase.

Im Vergleich zu dem von Frauen seit 1971 wieder bekämpften Abtreibungsverbot ist nur – oder sollten wir sagen: immerhin - schon eines erreicht worden: Ungewollt Schwangere, die sich von niemandem haben diktieren lassen auszutragen, landen heutzutage in Deutschland in der Regel nicht mehr auf dem Küchentisch einer „Engelmacherin“, wo sie ihre Gesundheit, die Gebärfähigkeit, ja ihr Leben riskieren. Sie dürfen den Eingriff von ÄrztInnen durchführen lassen. Voraussetzung: Dass sie schön Bittebitte machen.

Und die ÄrztInnen, diese Minderheit von MedizinerInnen, die trotz aller Drangsalierungen noch bereit ist, ungewollt Schwangeren zu helfen? Die müssen sich nicht nur die medizinischen Techniken einer Abtreibung mühsam aneignen (denn der Schwangerschaftsabbruch ist zwar der häufigste medizinische Eingriff bei Frauen, er wird aber nicht im Medizinstudium gelehrt). Sie müssen auch stark genug sein, die Missbilligung Konservativer und Scheinheiliger sowie die Hetze der „Lebensrechtler“ auszuhalten. Sie müssen auch bereit sein, auf Aufklärung ihrer eigenen Patientinnen zu verzichten, das verbot ihnen nämlich auch der reformierte §219a.

Es ist höchste Zeit, den §218 ganz abzuschaffen!

Absurd? Nein. Denn für alle, ungewollt Schwangere wie hilfsbereite ÄrztInnen, gilt weiterhin das Motto: Rechte habt ihr keine, wir gewähren euch bestenfalls die Gnade! Aber vielleicht überlegen wir uns das ja auch nochmal anders. Denn genau darum schaffen wir solche Gummiparagraphen: Damit wir die, je nach Zeitgeist und Machtverhältnissen, mal großzügig interpretieren – mal euch die Luft abdrehen können.

Diese Spielchen spielt der deutsche Rechtsstaat mit Frauen und ÄrztInnen jetzt seit 48 Jahren. Die durch Aufklärung und Proteste 1974 in der BRD so mühsam errungene Fristenlösung (die DDR hatte sie da schon), also das Recht, in den ersten drei Monaten abzutreiben, ohne irgendjemandem Rechenschaft ablegen zu müssen, wurde in der BRD umgehend durch eine Verfassungsklage der CSU gestürzt (bei dem sechs Verfassungsrichter dem Kläger recht gaben und zwei widersprachen). Seither bewegt sich der deutsche Staat auf einem Zickzackkurs, auf dem er es vor allem einem recht machen will: dem Vatikan und seinen AnhängerInnen – statt seinen Millionen Bürgerinnen.

Die klägliche Debatte um den §219a hat gezeigt, dass es genauso höchste Zeit wäre, den §218 ganz abzuschaffen oder zumindest die Fristenlösung einzuführen. So wie es in allen deutschen Nachbarländern (außer Polen) längst der Fall ist, inklusive in schwer katholischen Ländern wie Irland oder Italien.

Worauf warten die Millionen Bevormundeten eigentlich, das endlich zu fordern?!

Alice Schwarzer

 

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