Alice Schwarzer schreibt

Steeger: "Ich war immer stumm..."

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Alice Schwarzer: Gestern Abend in der Talkshow wirkten Sie sehr ernst und angespannt...
Ingrid Steeger: Ich habe natürlich schon viele Interviews gegeben, aber diese Intimitäten vor der Fernsehkamera... Als das mit den Sexfilmen gefragt wurde - wenn ich das erklären will, muß ich in meine Jugend zurückgehen, und dann sage ich natürlich viel zu viel, was ich gar nicht sagen möchte.

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Sie haben ja auch ein Buch über Ihr Leben geschrieben.
Ja. Das war eine Art Therapie für mich. Ich bin mit diesem Buch sehr weit zurückgegangen in meine Jugend. Als es fertig war, konnte ich kaum die ersten Seiten nochmal lesen, ohne gleich wieder zu weinen. Bis zum sechsten Lebensjahr habe ich nur sehr wenige Erinnerungen. Die haben aber immer mit Angst zu tun: Daß ich Angst hatte, einen Fleck in den Teppich zu machen; Angst, daß mein Vater ihn entdeckt...

Sie schreiben: "Immer wenn mein Vater den Schlüssel im Schloß drehte, zitterte ich vor Angst."
Ich zittere auch jetzt noch, wenn ich in der Wohnung bin. Mein Vater ist zwar tot, aber meine Mutter lebt dort noch. Ich höre immer noch den Schlüssel. Sowie mein Vater nach Hause kam, sind wir nach allen Richtungen gelaufen und haben geguckt, ob alles in Ordnung ist - um keinen Ärger zu erregen und um nicht verprügelt zu werden.

Was erregte ihn denn zum Beispiel?
Wenn er schlechte Laune hatte, haben wir so und so Prügel gekriegt. Nicht nur er schlug. Meine Mutter hat uns samstags immer durch die Wohnung gejagt. Vielleicht hat sie Angst vorm Sonntag gehabt. Aber vor meiner Mutter hatten wir nicht diese Angst. Mein Vater hat uns, glaube ich, einmal die Woche verprügelt. Das war dann ein richtig langes Prügeln. Das letzte Mal war, als ich 18 war. Da ist er so richtig auf meinem Kopf und meinem ganzen Körper spazierengegangen. Ich lag auf dem Boden, und er ist auf mir rumgetrampelt. Dann hat er mich ins andere Zimmer geschleppt und mich dort weiter verprügelt.

Ihr Vater war Teppichverkäufer in einem Kaufhaus. Wie war er im Beruf?
Da soll er beliebt gewesen sein... Meine Mutter aber hat ihn gehaßt. Und neulich hat sie zu meiner Schwester gesagt: "Ihr habt mich schon als kleine Kinder unter Druck gesetzt." Ich habe überlegt, wie sie das meint - vielleicht einfach nur durch unsere Anwesenheit?

Hat Ihr Vater auch Ihre Mutter geschlagen?
Das weiß ich nicht mehr. Ich kann mich nur daran erinnern, daß er nächtelang monoton durchgemeckert hat. Oder geschrien. Es ist noch heute so: Sowie mich jemand anschreit, tue ich alles und fange an zu weinen. Pfleghar konnte ja auch so schreien im Studio. Sowie der dann ein bisschen laut wurde... Ich ziehe unwillkürlich solche Männer an.

Was beeindruckt Sie denn an solchen Männern?
Die Intelligenz. Sie fasziniert mich, ich finde sie erotisch. Wahrscheinlich, weil ich mich nicht für so intelligent gehalten habe, bewunderte ich es immer, wenn ein Mann gebildet und belesen war.

Ingrid Steeger im Gespräch mit Alice Schwarzer: "... da musste man erst mal den Mut zu haben!"
Ingrid Steeger im Gespräch mit Alice Schwarzer: "... da musste man erst mal den Mut zu haben!"

Haben diese Männer - wie die Regisseure Pfleghar und zuletzt Wedel - Sie eigentlich auch privat gefördert?
Nein, im Gegenteil. Nur mein letzter Freund, der Dr. Wedel, hat mir sehr viel Selbstbewusstsein gegeben. Ich habe mich durch ihn und mit ihm sehr verändert. Schon allein dadurch, dass er mich so genommen hat, wie ich bin. Als wir uns kennengelernt haben, habe ich kaum gesprochen. Ich habe mich auch selber nie für eine Schauspielerin gehalten, aber er hat es getan. Er hat einiges aus mir herausgeholt in dem Film, den wir zusammen gedreht haben: diese rührende Komik, die ich immer spielen wollte. Da weine ich fast nur. Das hat er natürlich aus meinem Leben geklaut. Aber ich weine eigentlich ganz gerne.

Gehen wir nochmal zurück zu Ihrer Kindheit.
In der Schule hab' ich immer nur den Mund gehalten, die Lehrer haben mich schon gar nicht mehr aufgerufen. Ich hab' mich auch nicht gemeldet, klar. Ich fing immer sofort an zu weinen, wenn jemand mit mir gesprochen hat. Wir haben einfach zu Hause gelernt, nicht zu reden. Und wenn wir den Mund aufgemacht haben, war es sowieso falsch. Ich war immer stumm. Aber ich hab' trotzdem viele freche Sachen im Leben gemacht. Ich hab auch schon mal versucht, von zu Hause abzuhauen. Auch, dass wir in Diskotheken getanzt haben, das war nicht so ohne. Da musste man erst mal den Mut zu haben - aber immer schweigend! (lacht) Ich weiß auch, dass ich damals unwahrscheinlich viel gelogen habe. Ich bin ja quasi dazu gezwungen worden. Warum sollte ich mich auch für die Wahrheit verprügeln lassen?

Und wann haben Sie mit dem Lügen aufgehört?
Ich habe so viel in meinem Leben gelogen, dass ich irgendwann nicht mehr lügen konnte - jetzt bin ich vielleicht manchmal sogar zu ehrlich.

Und da gab es überhaupt keinen Halt zu Hause?
Zu Hause durften wir nicht denken und nicht fühlen. Wir waren zu dritt. An meinen zehn Jahre älteren Bruder habe ich seltsamerweise so gut wie gar keine Erinnerung. Meine Schwester und ich hielten zusammen. Obwohl ich anderthalb Jahre jünger war, habe ich sie immer beschützt - ich habe alle weggeboxt, die was von ihr wollten, habe aber immer mir die Schuld gegeben, wenn was passiert ist. Meine Mutter hat den Fehler gemacht, uns dem Vater zu entfremden, sie hat die Angst und den Hass mit aufgebaut. Meine Schwester sagt, als wir ganz klein waren, war das Verhältnis noch einigermaßen. Aber dann... Ich hatte immer mehr Angst und verstummte ganz.

Da muß doch noch mehr passiert sein...?
Ja, da ist auch noch mehr passiert. Und zwar in meiner Kindheit, als ich noch ganz klein war, so fünf, sechs Jahre alt... Aber ich möchte nicht darüber reden. Ich muss Rücksicht nehmen, auf Menschen, die noch leben.

Haben Sie Ihrer Mutter damals von diesem Problem erzählt?
Einmal ja. Aber sie wollte mir nicht glauben und hat gesagt, dass ich lüge.

Wie bitte?
Sie wollte es eben nicht wahrhaben. Ich habe dann nie wieder was gesagt. Bei uns war ja das sexuelle Thema tabu, darüber hat man nicht gesprochen, obwohl wir es ja mitgekriegt haben: meine Schwester und ich, wir lagen abwechselnd im Bett unserer Eltern - zwischen beiden. Und das ziemlich lange. So bis acht, neun. Da ich ja vor meinem Vater Angst hatte und meine Mutter es auf keinen Fall wollte, dachte ich immer, muß es was Widerliches und Schreckliches sein.

Da hat die Mutter Sie als Puffer eingesetzt.
Ja, und so haben wir eben alles mitbekommen.

Und wie hat Ihr Vater reagiert?
Ich kenne meinen Vater gar nicht. Wir hatten eigentlich kaum Kontakt. Wir haben zu Hause ja gar nicht gesprochen.

Und wie lief das sonntags, wenn er zu Hause war?
Der Sonntag war immer schrecklich, eben weil er zu Hause war. Ich weiß noch, als wir klein waren, da ist er öfter mit uns in den Zoo gegangen. Abends saßen wir vor dem Fernseher, da durfte sowieso nicht gesprochen werden. Ich weiß nichts von ihm. Er weiß sicherlich auch nichts von mir.

Hat Ihre Mutter Sie eigentlich aufgeklärt?
Nein. Meine Schwester hat mich aufgeklärt, hat mir gesagt, dass Frauen ihre Tage haben. Ich hab' die erst mit 19 oder so gekriegt. Meinen Busen hab' ich auch sehr spät gekriegt. Ich war wie ein kleiner Junge, ziemlich dünn. Ich war klein, aber zäh.

Wie war das mit der Schule?
Ich ging zur Volksschule und dann auf die Handelsschule.

Was wollten Sie denn damals werden?
Ich hab' sehr viel gezeichnet, habe alle Leute mit Zeichnungen eingedeckt und wollte irgendwas mit Grafik machen. Da hätte ich aber zur Lette-Schule gehen müssen, das hätte Geld gekostet. Was mit Tieren hätte ich auch gern gemacht. Ich wollte unbedingt im Zoo arbeiten, als Helferin. Aber als sie mich da gesehen haben, haben sie mich nach Hause geschickt, weil ich so klein und dünn war. Jedenfalls wollte mein Vater, dass ich einen bodenständigen Beruf lerne, nämlich Sekretärin.

Sie haben vor einiger Zeit den Mut gehabt, öffentlich zu sagen, dass Sie vergewaltigt wurden - dreimal.
(zögert) Ich weiß nicht, ob ich das angezogen habe... dieses Geschehenlassen, dieses Gehorchen... Damals fand ich die Vergewaltigungen gar nicht so schlimm, fast normal. Es war widerlich, und ich habe es beiseite getan.

Beim ersten Mal waren Sie 18.
Ja. Das habe ich aber verheimlicht. Ich war im "Big Apple", einer Jugenddiskothek. Samstags kamen die Westdeutschen immer nach Berlin. Da war die Diskothek immer voll, und da wurden dann Parties bei irgendjemandem gefeiert. Ich wurde eingeteilt, wo ich mitzufahren hatte.

Wer teilte denn ein?
Irgendjemand. Ich war ja immer nur Mitläufer, ich habe mich immer überall nur angehängt. Ich war, glaube ich, nie so wichtig für die Leute. Ich kam zu irgendeinem jungen Mann, mit dem ich fuhr. Er sagte, er müsste noch zu Hause seine Gitarre holen, weil er Musik macht. Ob ich kurz mit nach oben komme. Und im Hausflur ist es dann passiert. Ich wollte schreien, aber da hat er mir den Mund zugehalten. Es ging alles so schnell.

Mitten im Flur?
Nein, bei den alten Mietshäusern, da, wo es hinten zum Keller geht, geht ja die Rückseite von der Treppe schräg hoch, und da hat er mich dagegengeknallt. Ich hab' gar keine Chance gehabt und ihn auch nie wiedergesehen.

Wie haben Sie danach reagiert?
Ich habe mich geschämt...

Haben Sie es Ihrer Mutter erzählt?
Da hätte ich nur wieder eine runtergekriegt! Sie hätte sicher gesagt, dass ich's provoziert habe.

Und das zweite Mal?
Darüber möchte ich eigentlich nicht reden. Ich habe heute noch Angst vor diesem Mann. Ich war damals 21, es war ein guter Bekannter... Der hat danach geweint und sich entschuldigt.

Und die dritte Vergewaltigung...?
Da muss ich 23 gewesen sein. Das war in Frankreich. Das war allerdings unheimlich, ich habe Angst gehabt, dass man mich tötet. Es war mitten am Tag. Ich habe mich allein in einem Weinberg gesonnt. Ein Auto hielt an. Zwei Männer und eine Frau, die kamen ganz zielstrebig, haben kein Wort gesagt. Der eine kniete mit gespreizten Beinen auf meinen Oberarmen, während der andere es getan hat, derweil die Frau meine Handtasche ausraubte. Genauso schweigend, wie sie gekommen waren, sind sie gegangen. Wie sie aussahen, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass ich meine Tage hatte. Ich habe schrecklich geblutet. Das hat mich am meisten geekelt.

Und warum haben Sie da nicht etwas unternommen, jemandem etwas gesagt? Dies war doch ein ganz klarer Überfall!
Ich hab' mich einfach nicht getraut. Ich habe überhaupt erst mit 35 Jahren gelernt zu reden. Ich hatte immer Angst, dass ich was falsch sage.

Steeger: " Ich habe damals nichts empfunden dabei, also habe ich mich auch nicht geschämt."
Steeger: "Alle Männer sagen, sie merken, wenn man ihnen etwas vorspielt. Aber sie merken gar nichts."

Sie haben mit 23 angefangen, sogenannte "Sexfilme" fürs Kino zu machen.
Ja, wir brauchten das Geld, meine Schwester und ich. Der Vater ihrer zwei Kinder ist nach Thailand zurückgegangen, und sie kam dann mit dem kleineren Kind zu mir, das andere Kind war bei meiner Mutter. Ihre Ausbildung als Krankenschwester hatte sie nicht zu Ende gemacht, und sie wusste nicht, was sie tun sollte. Ich hab‘ damals ein bisschen im Büro gearbeitet, halbtags oder wie es eben kam, die Filme waren ja nicht jeden Tag. Das waren Episodenfilme: Schulmädchen-Report, Hausfrauen-Report, Lehrmädchen-Report. Man hat daran nie länger als zwei Tage gearbeitet, man war ja nie länger als fünf oder zehn Minuten zu sehen im Film. Das hab‘ ich ungefähr drei Jahre lang gemacht. Ich habe damit aufgehört, als ich anfing, mich zu schämen.

Wofür haben Sie sich denn geschämt?
Man wurde einfach schlecht behandelt, man war ein Mensch vierter, fünfter Klasse. Die Regisseure konnten sich wahrscheinlich selbst nicht verzeihen, dass sie bei Sexfilmen die Regie machten, und ließen das an uns aus. Es war wie Fließbandarbeit.

Was mussten Sie denn genau machen?
Beim Schulmädchen-Report zum Beispiel lernt man jemanden kennen oder man bückt sich. Der sieht dann das Höschen oder den Po, manchmal waren auch kleine Geschichten dabei. Ich habe damals nichts empfunden dabei, also habe ich mich auch nicht geschämt. Auch wenn ich mit Männern geschlafen habe, habe ich nichts empfunden. Ich hatte überhaupt kein Verhältnis zu meinem eigenen Körper – er war mir ganz gleichgültig.

Wann haben Sie zum ersten Mal freiwillig mit einem Mann geschlafen?
Ein Jahr nach der Vergewaltigung. Da hab ich allerdings gesagt, dass ich noch Jungfrau bin. Ich war verliebt, und er wollte etwas haben, also hat er es bekommen. Ich weiß noch, wie ich währenddessen dachte, oh Gott, hoffentlich ist er bald fertig. Alle Männer sagen, sie würden es merken, wenn die Frau ihnen etwas vorspielt, aber keiner merkt es. Inzwischen habe ich das Lügen aufgegeben, das ist mir zu anstrengend.

Wie lange haben Sie gelogen?
(lacht) Oh Gott, nicht dass die Männer jetzt zurückrechnen... Lange, sehr lange, bis vor kurzem.

Ist das für Sie nicht eine makabere Situation gewesen, einerseits die "Sexnudel der Nation" zu sein, und selber gar nicht zu wissen, was Sex ist?
Das war lange für mich fast normal.

Sie wollten keine Spielverderberin sein?
Ich habe mir immer unwahrscheinliche Mühe gegeeben, dass der Mann ein gutes Gefühl hat. Ich habe es für ihn getan, nicht für mich. Wenn man sich immer auf den anderen konzentriert, vergisst man sich dabei.

Sie haben neulich öffentlich gesagt, dass Sie nicht mehr zu den Sexfilmen stehen.
Natürlich denke ich heute anders! Ich kann mich auch nicht sehen auf dem Bildschirm. Neulich hat Wedel durch Zufall umgeschaltet, und ich war in einem dieser alten Filme zu sehen. Ich hab einen Anfall gekriegt und Sachen durch die Gegend geschmissen! Ich wollte nicht, dass er es sieht.

Kränken Sie die Bilder von damals?
Ich finde es eklig, dass da jemand an meinen Busen fasst, und dass ich das für Geld getan habe. Ich habe mich damals ja verkauft. Heute wäre das ganz undenkbar für mich. Heute habe ich ein ganz anderes Verhältnis zu mir selbst und zu meinem Körper.

Als Sie mit den Sexfilmen aufhörten, wie lang dauerte es, bis Sie mit Pfleghar "Klimbim" drehten?
Drei Monate. In einem damaligen "Kommissar" hab ich einen halben Satz gehabt. Dabei musste ich eine Treppe runtergehen. Da hat mich Pfleghar gesehen. Ich wusste natürlich nicht, wer er war. Und dann hatte ich plötzlich einen Vertrag über zwei Folgen. Das ging so schnell. Ich wurde praktisch über Nacht bekannt.

Wo ist für Sie der Unterschied zwischen den Sexfilmen und so einer "sexy Komödie"?
Ich wurde besser behandelt. Und ich wurde plötzlich beachtet. Damit hatte ich aber ganz große Probleme. Ich bin in den ersten vier Jahren der Klimbim-Zeit so gut wie nie ausgegangen, denn ich hatte Angst, dass man mich anspricht und ich dann nichts Vernünftiges sagen kann... Ich hab mir immer die Sätze alle vorher zurechtgelegt. Und der Pfleghar, der ja damals mein Regisseur war, hat das natürlich verstärkt. Er stand privat nicht zu mir. Es wäre nicht gut für den Beruf, wenn wir uns zusammen in der Öffentlichkeit zeigen, hat er gesagt.

Hat er sich für Sie geschämt?
Ja, viereinhalb Jahre lang. Ich war eigentlich immer so ein kleiner Mitläufer, wie so'n kleines Hündchen. Wenn man gepfiffen hat, war ich da. Ich hab immer nur auf einen Anruf von ihm gewartet, und wenn ich mal nicht da war, hat er geschimpft. Er hat von überall auf der Welt, wo er gerade war, angerufen, ob ich zu Hause bin. In der Zeit war ich viel bei meiner Schwester in der Familie. Wenn er dann anrief, hab ich mich immer eingeschlossen, damit niemand hört, was ich sage. Und dann bin ich immer weinend rausgekommen.

"HörZu" hat damals geschwärmt: "Wie macht sie das bloß? Woher kommt ihre heitere Schwerelosigkeit?"
(zuckt die Schultern) Bei Klimbim habe ich sehr viel geweint. Wenn ich mir die Filme heute ansehe, weiß ich heute noch ganz genau, bei welchen Szenen ich geweint habe. Diese Verzweiflung habe ich hinter Blondie - dieser überzogenen Kunstfigur - versteckt. Das war mir ganz recht.

Und wenn Sie damals in der Zeitung über sich lasen, Sie seien die "Ausziehpuppe der Nation"?
Naja... Klimbim war ja auch 'ne Leistung, aber das wird eben nicht als Schauspielerei verstanden. Manche Leute sagen doch tatsächlich auch heute noch zu mir: Möchten Sie nicht mal Schauspielerin werden?

Da kommt erschwerend hinzu, dass Sie in einem Land arbeiten, das Komik nicht zu schätzen weiß!
Ja, vor allem Sex mit Komik, das verachten die Leute - aber gleichzeitig schauen sie es sich an und amüsieren sich darüber.

Dabei hat man sich doch bei Ihren Auftritten auf den Boden geworfen vor Lachen!
Ja. Aber das hat erst Pfleghar alles aus mir rausgeholt.

Wie haben Sie es denn geschafft, von ihm wegzukommen?
Ich habe es bisher immer geschafft. Ich bin von jedem Mann weggegangen. Dazu hab ich auch keine andere Beziehung gebraucht. Ich kann auch nicht doppelgleisig fahren. Mir macht's auch Spaß, treu zu sein, das heißt, ich überleg da gar nicht groß.

Und die Männer haben Sie immer betrogen?
Ja. Aber man glaubt eben immer, was man glauben will.

Gleichzeitig haben sich diese Männer mit Ihnen gebrüstet.
Natürlich war ich für viele Männer ein Aushängeschild. Ich bin für die Männer immer ein typisches Frauchen gewesen: klein und hilfsbedürftig. Dabei bin ich sehr häuslich. Ich koche gern, ich mache gern sauber. Ich versuche immer, alles schön zu machen. Bei dem Pfleghar war das allerdings nicht so. Da habe ich noch nicht einmal gewagt zu kochen, aus Angst, dass ich etwas falsch mache.

Sie haben offensichtlich auch eine sehr soziale Seite.
Ich habe sogar ein regelrechtes Helfersyndrom. Ich muss mich immer um andere kümmern. Ob da 'ne Taube auf der Straße liegt, oder Asylanten oder Türken - wenn einer Hilfe braucht, dann mach' ich das, aber gerne. Ich habe lange zwei alte Leute betreut und mich um sie gekümmert. Die sind jetzt gestorben. Sie haben schräg gegenüber gewohnt, da war ich fast jeden Tag. Selbst wenn ich in Amerika war, hab‘ ich die angerufen und ihnen Karten geschickt. Ich hab‘ ihnen einen Wellensittich geschenkt, mit dem haben wir gespielt. Dem alten Mann konnte ich auch alles erzählen. Er hat zwar nicht immer alles verstanden, aber er hat mir wenigstens zugehört.

Warum tun Sie das alles?
Vielleicht, weil ich geliebt werden möchte... Ich glaube, ich habe mir Liebe und Freundschaften lange erkauft: mit Liebesdiensten oder mit Geschenken. Ich habe ein großes Herz, und meine Schmerzgrenze liegt sehr weit hinten. Das ist für viele Leute von Vorteil – für mich sicher nicht.

Haben Sie auch Freundschaften?
Früher gar nicht, aber das war meine eigene Schuld, ich habe mich ja immer versteckt. Da konnte man mich ja auch nicht ernstnehmen. Dann hab‘ ich angefangen zu lesen, mich zu bilden, und zwar von alleine. Ich hab‘ dann gemerkt, dass ich das verstehe, und mein Nachholbedarf war groß.

Und jetzt?
Seit ein paar Jahren, seit ich 40 bin, habe ich auch Freundschaften.

Was sind das für Freunde?
Das sind alles Freundinnen, bis auf einen Mann. Die hab ich seit vier, fünf Jahren. Die beste ist 63, die Ina, sie ist Fotografin. Die kommt gleich hinter meiner Schwester. Ich mag sie sehr. Wir können gut miteinander reden. Ich kann ihr alleserzählen, sie kann mir alles erzählen.

Fällt Ihnen Vertrau en mit Frauen leichter als mit Männern?
Ja. Mit den Männern konnte ich nie so reden, wie ich jetzt mit den Frauen rede. Die Männer haben mich nicht teilhaben lassen an ihrem Leben - außer Herr Dr. Wedel.

Was hat der denn für einen Doktortitel?
Doktor der Philosophie! Da war ich auch so stolz drauf, (lacht) Das war eben auch das mangelnde Selbstbewusstsein. Das hat mir schon was gegeben, auch wenn's blöd ist. Aber solange ich es sehe, ist es ja okay. Wenn ich es nicht sehen würde...

Sie haben sich anscheinend immer sehr stark auf Ihre Beziehungen eingestellt.
Und ob. Dabei war ich dann oft nur die Zweite, die Inoffizielle, und das mit den bekannten Folgen... Weihnachten alleine, Silvester alleine... Und immer habe ich so getan, als würde es mir nichts ausmachen. Dabei war ich so verzweifelt darüber, dass ich versucht habe, es allen anderen gegenüber zu verstecken. Zum Beispiel bei meinem letzten Freund habe ich Weihnachten Christbaumkugeln geholt, einmal sogar für 500 Mark kleine Teddybären, und eine Gans - und dann so getan, als hätte ich jemanden zum Feiern... Die Leute haben mich dann immer gefragt: Wie sieht denn in diesem Jahr dein Weihnachtsbaum aus?

Die Zeit scheint vorbei zu sein. Sie sagen ja jetzt mit einer wirklich radikalen Schonungslosigkeit auch für sich selbst die Wahrheit.
Naja... Ich gehe jetzt auch mehr weg, rede mehr mit Leuten. Meinen Beruf mag ich auch erst seit zwei, drei Jahren. Und seitdem komme ich auch weiter.

Wie geht es weiter?
Ich bereite mich zur Zeit auf meine Rolle in "Jedermann" vor, da spiel' ich die Buhlschaft. Das Stück wird im Sommer in Berlin in der Gedächtniskirche aufgeführt. Dann drehe ich in der Türkei einen Abenteuerfilm, fürs Fernsehen. Und ich werde ab 23. Juni nach sechs Jahren in Berlin zum ersten Mal wieder auf der Bühne stehen. Und ab Oktober gehe ich mit auf Theatertournee. Es ist wirklich wahr: Ich habe sechs Jahre nicht Theater gespielt, weil ich meinen letzten Freund nicht so lange allein lassen wollte.

Klar, man kann nicht die totale Geliebte sein und sich gleichzeitig um den Beruf kümmern.
Das würde ich heute auch nicht mehr machen! Jetzt macht mir der Beruf auch Spaß, und darauf will ich nicht mehr verzichten. Ich möchte auch gern mal 'ne Mutter spielen, aber ich krieg einfach keine Kinder!

Das Problem ist, dass man Sie immer in eine bestimmte Schublade gesteckt hat.
Ja, ich war nie richtig Ich. Das bin ich jetzt geworden -  obwohl ich natürlich noch dran arbeiten muss. Ich hätte auch Schwierigkeiten, mit einem Mann zusammenzuleben. Ich bin selbständiger und selbstbewusster geworden, ich brauche meinen Freiraum.

Können Sie gut allein sein?
Ja, sehr gut. Selbständig war ich doch schon immer, wenn man's mal so sieht... Ich schreibe, ich lese, ich telefoniere, ich spiele mit meinem Dackel Felix - mir fällt immer was ein. Und jetzt mache ich noch was Neues: Ich will den Indianern und den Naturvölkern überhaupt bei ihrem Kampf gegen Atomwaffentests und dem Abbau von Uranium helfen! Ich engagiere mich für das World Uranium Hearing.

Schon beeindruckend, wie Sie das alles durchgestanden haben und auch noch anderen helfen.
Es muss jetzt alles bei mir raus: Was ich erlebe, was ich fühle! Mit denselben Erfahrungen würde vielleicht ein anderer Mensch sagen: Wie schrecklich - und in Selbstmitleid ertrinken. Aber ich finde: Im Grunde genommen war ich immer ein Glückskind.

1989 hat Ingrid Steeger ein Buch über ihr Leben geschrieben, in dem sie vieles - wenn auch nicht alles - sagt. Titel: ,,Ingrid Steeger – Ein Glückskind darf auch weinen", Ullstein.

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