Alice Schwarzer schreibt

Woody Allen & die Fakten

Woody Allen, Dylan auf dem Arm. Links von Mia Farrow: Soon-Yi. Auf dem Arm seiner Schwester Lark: Satchel/Ronan. - imago images
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„Ich bedauere“, schreibt er gegen Ende, „dass ich so viel Raum auf die falschen Anschuldigungen gegen mich verwenden musste, aber die ganze Situation war dem Schreiben unterm Strich eher zuträglich, fügt sie doch einem ansonsten ziemlich gewöhnlichen Leben ein faszinierend dramatisches Element hinzu.“ Die Rede ist von dem im Raum stehenden Vorwurf des Kindesmissbrauchs (EMMA berichtet seit 1992). In der Tat räumt der Autor seiner Reinwaschung – auf Kosten der Besudelung seiner Ex-Lebensgefährtin Mia Farrow, nach dem Motto: She said/He said – über 50 Seiten in seiner schludrig hingehauenen „Autobiografie“ ein. Im Vorlauf gab es Proteste von AutorInnen, die zwar nichts grundsätzlich gegen das ihnen fragwürdig scheinende Buch hatten, jedoch die Veröffentlichung in „ihrem“ Verlag (Rowohlt) verhindern wollten; der sollte sauber bleiben. Der Verlag hat im Gegenteil den Protestwind genutzt, um das Buch schneller als geplant auf den Markt zu werfen. Man könnte das Elaborat von Allen Fake News nennen. Die erboste Rezensentin der New York Post ging weiter: Sie nannte es „die widerlichsten, selbstmitleidigsten Memoiren seit Mein Kampf“. Nun, so weit müssen wir nicht gehen. Aber die nackten – belegbaren! – Fakten sind schon mal nicht schlecht.

Was ist belegbar passiert? Woody Allen und Mia Farrow waren ein modernes Paar, unverheiratet und mit getrennten Wohnungen: sie mit den Kindern, er allein. Als Allen zu der (Adoptiv)Mutter von zu der Zeit acht Kindern stieß, war das koreanische Straßenkind Soon-Yi etwa sieben Jahre alt, stark verhaltensgestört und lernbehindert. Der neue Vater ließ das Kind lange links liegen. Im Februar 1992, Soon-Yi ist inzwischen 19 oder 20 (das wahre Alter des Straßenkindes, dessen Mutter eine Prostituierte war, ist unbekannt), entdeckt Mia Farrow in seiner Wohnung Pornofotos. Allen hatte die Fotos von dem Mädchen gemacht: mit gespreizten Beinen, bloßen Genitalien etc. Es stellt sich heraus, dass er schon vor Jahren heimlich ein Verhältnis mit dem Teenager angefangen hatte - da muss Soon-Yi 15/16 gewesen sein - und gleichzeitig mit ihr als "Tochter" weiter in der Familie verkehrte. Später wird Allen berichten, Soon-Yi habe sich bei ihm oft über ihre Mutter beschwert.

Allen habe "ein unangemessen intensives Verhältnis" zu dem Kind, so die Psychologen

Und was tut Mia Farrow, inzwischen Mutter von neun Kindern, nach der Geburt von Sohn Satchel/Ronan, das gemeinsame Kind mit Woody Allen? Sie macht ihrem Mann zwar eine Szene - aber schweigt nach außen. Und er? Er verkehrt weiterhin quasi täglich in der Familienwohnung, nicht zuletzt, um an seinen kleinen Liebling, die inzwischen siebenjährige Dylan, ranzukommen. Seit Jahren hatte Allen sich um Dylans Adoption bemüht. Die war vom Adoptionsgericht zunächst abgelehnt worden, weil Psychologen bei ihm ein "unangemessen intensives Verhältnis" zu dem Kind konstatiert hatten. Später wurde die Adoption dann doch gestattet.

In dieser Zeit schreibt Satchel/Ronan an seinen Vater: "Du kannst mich nicht zwingen, bei dir zu leben. Du hast dir eine schreckliche, armselige, hässliche, dumme Sache geleistet. Jeder Mensch weiß, dass man mit der Schwester seines Sohnes keine Affäre anfängt (Anm.d.Aut.: mit Soon-Yi). Ich betrachte dich nicht mehr als meinen Vater. Ich hoffe, du bist stolz darauf, den Traum deines Sohnes zerstört zu haben." - Worte, die Woody Allen nicht hindern können, weiterhin auch auf das Sorgerecht dieses Sohnes zu klagen. Bekannt wird der Brief erst Jahre später durch die Veröffentlichung von Mia Farrows Memoiren („Dauer hat, was vergeht“).

Am 4. August 1992 platzt die zweite Bombe. Ein Kindermädchen hatte "irritierend intime Szenen" zwischen dem Vater und seiner Adoptivtochter beobachtet. Er hatte unter anderem, als er sich mit dem Kind allein wähnte, seinen Kopf in den Schoß des sitzenden Kindes gegraben. Die daraufhin vom Kinderarzt und von Psychologen befragte Dylan erzählt allen das Gleiche: Ihr Vater habe sie auf dem Dachboden am ganzen Körper geküsst, auch zwischen den Schenkeln, und seine Finger in sie "reingedrückt": "Es hat wehgetan", sagt das kleine Mädchen. Aber: "Er hat gesagt, wenn ich in dem Film vorkommen will, bleibt mir nichts anderes übrig. Er hat einfach immer wieder reingestoßen." Die kleine Dylan hatte offensichtlich schon seit Jahren Angst vor ihrem Vater, versteckte sich, wenn er kam, und fing an "wie ein Baby zu brabbeln oder wie ein Hund zu bellen", wie das Kindermädchen berichtete.

Erst der Kinderarzt erstattet Anzeige wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch

Und was passiert? Mia Farrow macht ihrem Lebensgefährten eine zweite Szene - und schweigt weiterhin nach außen. Sie erstattet auch keine Anzeige. Erst der Kinderarzt, der Dylan untersucht hatte, erstattet endlich Anzeige: wegen Verdachts auf sexuellen Missbrauch. Dazu sind die Ärzte in Amerika bei Verdacht auf sexuelle Gewalt juristisch verpflichtet.

Eine Woche nach dieser Anzeige geht Woody Allen in die Offensive: Er klagt auf das Sorgerecht für Dylan (!), Moses und den gemeinsamen Sohn Satchel/Ronan. Durch die europäischen Feuilletons wogt eine Welle von Hohn und Spott. Doch der gilt nicht etwa Allen, sondern Farrow, dieser frustrierten, hysterischen Mutterkuh, die ihrem inzwischen von ihr getrennten Lebensgefährten nur etwas anhängen will. Allen persönlich hatte diese Version lanciert: Farrow betreibe „eine gewissenlose und grausam schädigende Manipulation unschuldiger Kinder aus rachsüchtigen und eigennützigen Motiven“.

7. Juni 1993. Die Niederlage, die der New Yorker Supreme Court dem auf das Sorgerecht für die Kinder mit einem Zivilprozess Klagenden beschert, könnte vernichtender nicht sein. Der Richter spricht Woody Allen jegliche "elterliche Fähigkeit" ab. Er weist ihm nach, dass er noch nicht einmal die Namen der Freunde oder Haustiere, noch die der Kinderärzte oder Lehrer seines Sohnes kennt. Und: dass dieser Lebensgefährte und Vater alles getan hat, „seine Familie vollends zu zerstören“. Richter Elliot Wilk in dem schriftlichen Urteil über Woody Allen: "Seine Prozessstrategie bestand darin, einen Keil zwischen seine Kinder zu treiben, die Kinder gegen ihre Mutter einzunehmen, die Familie gegen ihre Haushaltshilfen aufzustacheln und die Hausangestellten selbst gegeneinander auszuspielen. Seine Selbstbezogenheit, sein mangelndes Urteilsvermögen und die Hartnäckigkeit, mit der er weitere Zwietracht sät und somit verhindert, dass die von ihm bereits zugefügten Wunden verheilen, lassen geraten erscheinen, seinen Kontakt zu den Kindern in Zukunft aufmerksam zu überwachen."

Darüber hinaus erklärte der Richter im Zivilprozess, er habe „keine schlüssigen Beweise“ für Allens Behauptung gefunden, „dass Dylan von Ms. Farrow instruiert worden sei oder Ms. Farrow aus dem Wunsch nach Rache verfahren sei, weil er Soon-Yi verführt hatte“.

Auch in Sachen Dylan sollte nun ein Prozess eröffnet werden, ein Strafprozess. Doch dazu kam es nie. Stattdessen erklärte der zuständige Staatsanwalt, er habe zwar „hinreichend Verdachtsmomente, um Anklage zu erheben gegen Woody Allen“. Er wolle jedoch aufgrund der „Zerbrechlichkeit des kindlichen Opfers“ auf einen Prozess verzichten.

Nach dem Urteil im Sorgerechtsprozess zog Mia Farrow von New York nach Connecticut. Dylan war lange Jahre von Angstattacken geplagt. Heute hat sie sich – nicht zuletzt dank eines Ehemannes, der zu ihr hält – stabilisiert. Nachdem ihr Bruder Ronan mit seinen Recherchen zu Weinstein die MeToo-Bewegung ausgelöst hatte, ging auch Dylan wieder an die Öffentlichkeit und erinnerte an ihre Anklage gegen den Vater.

Dass Allen die Kindernärrin Farrow geheiratet hat, war vermutlich kein Zufall

Nur eines der neun Kinder von Mia Farrow, der auch von Allen adoptierte Moses, widerspricht öffentlich der Version von Dylan und Satchel/Ronan. Moses sagt, die Mutter habe seine Geschwister manipuliert. Alle anderen Kinder wenden sich von Allen ab. Fletcher, der Adoptivsohn aus Farrows früherer Ehe mit Previn, entfernte via Photoshop aus allen Familienfotos seinen (sozialen) Vater Allen und erklärte: „Für meine Geschwister und mich war Allen wie ein zweiter Vater. Sowas kann deine Welt bis in die Grundfesten erschüttern.“

Dass Woody Allen die Kindernärrin Mia Farrow geheiratet hatte, war vermutlich kein Zufall. Studien (und auch einschlägige Kleinanzeigen) belegen, dass Männer, die Kinder missbrauchen, auffällig oft Frauen heiraten, die bereits Kinder mit in die Ehe bringen.

Der Fall Woody Allen hat noch eine grausame Pointe. Nachdem er die als Kind so verstörte Soon-Yi als Minderjährige "verführt" und als Volljährige geheiratet hatte - adoptierte er 1999 mit ihr zusammen ein Baby, eine Asiatin, und im Sommer 2000 eine sechs Monate alte Texanerin. Noch zwei Mädchen. Soon-Yi wird ja auch nicht jünger.

Der Fall Woody Allen ist so exemplarisch, weil er klarmacht, wie dreist trotz erschlagender Faktenlage die öffentliche Leugnung der Schuld eines Täters sein kann. Sie wollen es einfach nicht wahrhaben.

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Dylan klagt ihn an, seit 28 Jahren

Dylan Farrow spricht über die Missbrauchsvorwürfe gegen Woody Allen. © cbs this morning/screenshot
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„Ich will mein Gesicht zeigen und meine Geschichte erzählen“, sagt eine sichtlich aufgewühlte Dylan Farrow. Die Geschichte, die sie Interviewerin Gayle King dann vor laufender Kamera erzählt, ist lange bekannt. Es ist die vom sexuellen Missbrauch durch ihren sozialen Vater Woody Allen. Dylan hat diese Vorwürfe immer und immer wieder erhoben, zum ersten Mal als Siebenjährige im Jahr 1992. Aber erstmalig darf die heute 32-Jährige nun beim US-Fernsehsender CBS schildern, was sich damals auf dem Dachboden des Landhauses ihrer Adoptivmutter Mia Farrow zugetragen hat.

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Schon 2014, als Woody Allen wieder einmal hofiert von Filmleuten und Journalisten über den Roten Teppich von Cannes flanierte, hatte sich Dylan Farrow in einem Offenen Brief  an die Öffentlichkeit gewandt: „Und wenn es deine Tochter wäre, Cate Blanchett?“ hatte sie gefragt und all jene SchauspielerInnen der Komplizität beschuldigt, die immer noch so taten, als wäre nichts.

v. li.: Ronan Farrow im Arm von Lark Previn, Woody Allen mit Dylan Farrow. Dritte von re: Soon-Yi. Re: Mia Farrow.
v. li.: Ronan Farrow im Arm von Lark Previn, Woody Allen mit Dylan Farrow. Dritte von re: Soon-Yi. Re: Mia Farrow.

Doch die Zeit des Wegschauens ist vorbei. Immer mehr Schauspielerinnen und Schauspieler distanzieren sich nun von Allen. Sie erklären, sie bedauerten, in Allens Filmen mitgespielt und die Missbrauchs-Vorwürfe ignoriert zu haben – wie Mira Sorvino, Ellen Page oder Greta Gerwig. Gerwig, die 2012 in „To Rome with Love“ mitgespielt hatte, erklärte: „Wenn ich gewusst hätte, was ich heute weiß, hätte ich in dem Film nicht mitgemacht. Ich habe durch Dylans Wortmeldungen begriffen, dass ich den Schmerz einer anderen Frau größer gemacht habe. Ich habe seither nicht mehr für ihn gearbeitet und ich werde nicht mehr mit ihm arbeiten.“

Einige SchauspielerInnen spenden ihre Gagen aus Allen-Filmen für die Opfer sexueller Gewalt – wie Rebecca Hall und Timothee Chalamet, beide DarstellerInnen in Allens nächstem Film „A Rainy Day in New York“ (in dem es um die Affäre eines Mittvierzigers mit einer Minderjährigen geht). „Ich möchte von diesem Film nicht profitieren“, erklärte auch Schauspieler Griffin Newman und spendete seine Gage an RAINN (Rape, Abuse & Incest National Network).

https://www.youtube.com/watch?v=ic1kMoM_kPw

Dylan Farrow hatte 2014 große Schwierigkeiten gehabt, eine Zeitung zu finden, die es wagte, ihren Offenen Brief zu veröffentlichen. Der Druck der Anwälte von Allen, der die Vorwürfe bestreitet, war enorm. Dass Dylan nun sogar im Fernsehen eine Stimme bekommt, ist dem gewandelten Klima zu verdanken (Es war übrigens ihr Bruder Ronan Farrow, der mit seinen Recherchen den Weinstein-Skandal aufdeckte, in dessen Folge die #MeToo-Kampagne startete.)

Vier Tage vor dem Interview mit Dylan Farrow in deren Haus in Connecticut hatte Oprah Winfrey in einer Talkrunde mit sieben Frauen aus der Filmbranche über die „Time’s Up“-Kampagne geredet – und dabei auch die Vorwürfe gegen Woody Allen angesprochen.

„Dylan Farrow hat zur Time’s Up-Kampagne getwittert, dass sie schon vor vier Jahren - als sie sich öffentlich gegen ihren mutmaßlichen Missbraucher Woody Allen gewandt hat - geglaubt hatte, seine Zeit sei vorbei. Aber sie war es nicht“, sagte Oprah, die eine Woche zuvor bei der Golden Globe-Verleihung eine mitreißende Rede gegen sexuelle Gewalt  gehalten hatte. Jetzt gab Winfrey Dylans Frage an die Filmfrauen in der Runde weiter: „Is his time really up now?“

https://www.youtube.com/watch?v=upfcbRu7oc8

„Ich hoffe es“, antwortete Produzentin Shonda Rhimes. „Yeah“, sagte Schauspielerin Reese Witherspoon. Und Kollegin Natalie Portman erklärte: „Ich glaube dir, Dylan!“. Gerade hat auch Oscar-Preisträger Colin Firth angekündigt, nicht mehr mit Allen arbeiten zu wollen. Es sieht so aus, als ob die unbeschwerte Zeit für Woody Allen tatsächlich vorbei ist.

 

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