Männer müssen nicht schön sein...

Männliche Models: Sie müssen nicht gefallen und haben eine Tendenz zur Uniform. Foto: Darren Robb/ Getty Images
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Es gibt eine Kraft im menschlichen Zusammenleben, die krasse Unterschiede im Verhalten der Geschlechter aufweist und zu der Feministinnen deswegen auch ein ambivalentes Verhältnis haben. Die Rede ist vom weiblichen Narzissmus, der Freude an der erotischen Selbstinszenierung von Frauen sowie die strategische Entschlossenheit der diesen Bestrebungen angelagerten Industrien, Profit zu machen. Also die Beauty-Industrie mit ihrer geballten Marktmacht der Kosmetik- und Modefirmen, Fitness- und Diätanbieter, Haarstylisten, Schmuckdesigner und Schönheitschirurgie. Diese ­Beauty-Industrie hat während der vergangenen Jahrzehnte enorm expandiert.

Man muss wohl von einer ausgeprägten Neigung des weiblichen Geschlechtes sprechen, die eigene Erscheinung herauszuputzen und Zeit und Geld und Fantasie zu investieren, um auf den Bühnen der Straßen und Restaurants, der Geschäfte und Großraumbüros, der Politik und der Medien, der Diskos, Bars und Partys als attraktiv zu imponieren.

Im Grunde ist es begrüßenswert, wenn das ästhetische Empfinden sich verfeinert und auch der eigenen Gestalt gilt. Es ist aber ja immer eine Frage des Maßes und der Proportion, ob frau im Sinne der Emanzipation sagen kann: Gut so!, oder doch lieber: Stopp.

Der Abstand zwischen den Geschlechtern in bezug auf die Bereitschaft, die letzten Ressourcen auf der Jagd nach den Attributen der Schönheit zu verpulvern, scheint sich stetig zu vergrößern. Während Frauen mit Liftings, Brust-OPs, Fitnesswahn und Hungerkuren bis an die Grenze zur Selbstzerstörung gehen, lehnen sich die Männer zurück und zeigen lässig ihren Bauch. Das sollen sie tun dürfen – aber warum erlauben Frauen sich das nicht auch? Warum wird ihr Wille immer wilder, die „Ungerechtigkeit der Natur zu korrigieren“, wie es gerne heißt, und die jeweils angesagte Schönheit zu kaufen, zu konstruieren, herbeizuzwingen, koste es, was es wolle?

Zugegeben: Auch bei Männern lässt sich seit etwa einer Generation eine verstärkte Sensibilität beobachten, was ihr Aussehen angeht; sie wissen, dass es auch darauf ankommt, aber dieses „auch“ hat Gewicht. Die Abhängigkeit der Männer von dem Blick, der auf sie fällt und ihnen signalisiert: Du bist schön oder du bist es nicht, du bist es wert oder du bist es nicht, du bist willkommen oder du bist es nicht, hält keinen Vergleich mit der entsprechenden Abhängigkeit aufseiten der Frauen aus. Dass sich Männer heute ganz gerne mal die Haare tönen, ein gutes ­Parfüm wählen und öfter darauf achten, dass ihr Sakko sitzt, liegt wohl eher an den allgemein gestiegenen Ansprüchen in Bezug auf optische Valeurs als an einer Änderung in den Machtverhältnissen der Geschlechter.

Es gibt auch Frauen, denen es wurscht ist, wie sie aussehen; es gibt Frauen, die das signalisieren und trotzdem eine beachtliche berufliche Karriere hinlegen. Das spricht dafür, dass die Gesellschaft allmählich lernt, auch bei Frauen die ­ästhetisch-erotische Persönlichkeit von der funktional-leistungsfähigen zu trennen (was sie bei Männern immer macht).

Einigen wir uns also darauf, dass die männliche Minderheit, die schön sein will und ein entsprechendes Pfauengehabe an den Tag legt und die es, vor allem in der homosexuellen Subkultur, immer gab, ein wenig größer geworden ist. Und dass die weibliche Minderheit, der ihr ­Erscheinungsbild gleichgültig ist – die gab es auch immer –, an Selbstbewusstsein hinzugewonnen hat, weil ihre restlichen Qualitäten eher anerkannt werden.

Es bleiben die Mehrheiten: Die weib­liche ist entweder spielerisch-gelassen oder aber nervös-selbstdestruktiv um ihr Aussehen besorgt und wendet ein Gutteil ihrer Mittel auf dessen Pflege. Die männliche Mehrheit ist, was Figur und Mode betrifft, eher unbedarft bis völlig gleichgültig. Der Mehrheit der Männer scheint es weitgehend egal zu sein, wie sie optisch wirkt, und sie rechnet nicht damit, beziehungsweise wünscht es keineswegs, dass Blicke sie verfolgen.

Dieser große Unterschied zwischen den Geschlechtern hat sich seit den 1970er-Jahren nicht verkleinert, er ist eher noch größer geworden. Das ist nicht zuletzt an den wachsenden Umsätzen der Schönheitsindustrie abzulesen sowie an dem medialen Dauerfeuer in Sachen weiblicher Attraktivität: Werbung, Castingshows, „Promi“-Klatsch, Internet­foren. Dass auch Männer zu diesen Umsätzen beitragen, haben wir erörtert und lassen wir jetzt beiseite. Wir fragen: Wie kommt es zu der enormen Schieflage ­zwischen den Geschlechtern, was die ­Nötigung zur Attraktivität betrifft, und was bedeutet sie?

Der Mann, sagte man einst, wird durch den Anblick weiblicher Schönheit entflammt, woraufhin er loszieht, um die Traumfrau zu erobern. Während die Frau … Sie interessiert sich, als Mensch, der die Kinder bekommt, mehr dafür, ob der Mann auch gut für sie sorgt, ob er stark ist und sich durchsetzen kann, sie ist also nicht auf (männliche) Schönheit angewiesen, um zu entflammen. Weshalb Männer auch aussehen können, wie sie wollen. Wer so argumentiert, setzt bereits eine ­Sozialstruktur mit Hierarchie – die Männer herrschend, die Frauen abhängig – voraus. So kommen wir also nicht weiter.

Alle Versuche, die „attraktiven“ Merkmale eines nicht schönen Mannes zu ­erotisieren – nach dem Motto: Macht ist sexy oder „Geld macht sinnlich“ –, gehen insofern an der Sache vorbei, als die ­Strategien mancher Frauen, ihre Schönheit einzusetzen, um Sicherheit oder gar Reichtum zu gewinnen, nichts darüber aussagen, wie sie sich in den Armen eines unattraktiven Geldsacks wirklich fühlen. Wir können davon ausgehen, dass Frauen ebenso wie Männer von körperlicher Schönheit angezogen werden, dass aber die soziale Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern es den Frauen bis vor Kurzem untersagt hat, beim Anblick eines schönen Mannes loszuziehen, um ihn zu erobern.

Es gibt ja immer mal wieder Umfragen zu diesem Thema. Seit Jahrzehnten kommt dasselbe Resultat heraus: Fragt man Frauen nach den Attributen ihres Wunschpartners, so rangieren Eigenschaften wie Verlässlichkeit, Ehrlichkeit, Treue und Humor ganz oben. Gutes Aussehen kommt etwa auf Platz sechs. Fragt man Männer nach den Eigenschaften der idealen Partnerin, so nennen sie als erstes – nein, Schönheit sagen sie nicht, das klänge ihnen wohl zu pathetisch, sie wollen auf dem Teppich bleiben. Sie sprechen von attraktiv, schlank, blond, jung, sexy – wer das nicht ist, braucht sich gar nicht erst zu melden. Irgendwann auf Platz sechs kommt dann der gute Charakter.

Diese Ungleichheitsverteilung ist leicht zu interpretieren. Frauen suchen in der Partnerschaft erst mal Halt, Sicherheit und Anerkennung. Sie formulieren ihre Wünsche aus einer Position der Schwäche, sie möchten nicht belogen und betrogen werden und auch mal lachen können. Männer formulieren ihre Wünsche aus ­einer Position der Stärke. Sie wollen wählen, und die Palme (sprich: Heiratsantrag) gebührt natürlich der Hübschesten. Sie fühlen sich wie der junge Paris, als er vor drei Göttinnen stand, aufgerufen, die schönste zu küren. Was die PartnerInnen-Wunsch-Umfragen betrifft, stecken wir, scheint’s, alle noch im 18. Jahrhundert oder sogar in der Antike fest.

Aber auch, wenn wir andere Indikatoren als die oft fraglichen Umfragen hernehmen, ergibt sich kein ermutigenderes Resultat. Wenn der weibliche Narzissmus zu deuten ist als Ausstellung der ästhe­tischen und erotischen Potenz mit dem (mehr oder minder expliziten) Ziel, einen Verehrer, einen Liebhaber oder ­einen Ehemann zu finden – oder auch nur täglich Selbstbestätigung zu beziehen aus den ­anerkennenden Blicken der Männer – dann liegt der Schluss nahe, dass sich die weibliche Existenz noch nicht sehr weit aus der Abhängigkeit bzw. dem Kielwasser der männlichen sozialen Überlegenheit herausgearbeitet hat.

Und wenn wir die Nachlässigkeit, mit der viele, sehr viele Männer ihr eigenes Erscheinungsbild strafen, als Gleichgültigkeit gegenüber den erotischen Erwartungen des anderen Geschlechtes interpretieren dürfen, weil es nur sie, die Männer, sein wollen und sollen, die wählen (und nicht etwa gewählt werden), da ihre Existenz eben letztlich nicht davon abhängt, ob sie von einer Frau begehrt werden, dann liegt der Schluss nahe: Männer führen nach wie vor ihr interessantes soziales Leben mit anderen Männern, als Kollegen, Konkurrenten, Klienten, Kumpeln oder Gegnern. Ein Gutteil ihrer libidinös-narzisstischen Bedürfnisse werden hier gestillt, wo Aussehen unwichtig ist im Vergleich zum Auftreten. Und wo die Furcht davor, als homosexuell zu gelten, Männer eher noch davon abhält, sich zu schmücken.

Frauen dürfen im Leben eines Mannes vorkommen, und dafür gehen Männer sogar mal zum Frisör oder ziehen ein besonders gut sitzendes Sakko an, denn sie müssen damit rechnen, dass auch Frauen Augentiere sind. Frauen können sehr wichtig für sie werden, aber das muss nicht sein. Ein Mann kann ein erfülltes Leben führen, kann seinen Ehrgeiz befriedigen und Großes leisten oder auch als Leistungsverweigerer zu sich selbst finden, ohne sich dauerhaft auf eine Frau einzulassen. Warum also sollte er sich täglich in Schale werfen?

Wenn man auf alten Bildern und Stichen sieht, wie großartig sich Männer zur Zeit des Barock, aber auch noch im 19. Jahrhundert gestylt und aufgehübscht haben, wundert man sich, dass ihnen das alles so abhandenkommen konnte. Menschen in der Zukunft, die sich Gruppenfotos von heutigen Vorstandssitzungen oder Ministerrunden ansehen, werden die Köpfe schütteln über das dunkle ­Einerlei, in das die Herren gewandet sind. Die wenigen Farbflecken, die es auf ­solchen Bildern gibt, stammen von den ­Alibifrauen.

Will man diesen in der ganzen westlichen Welt virulenten Verzicht der Männer auf eine erotische Selbstdarstellung interpretieren, kommt man an der Idee der Uniform nicht vorbei. Die Gruppenfotos jedenfalls, auf denen Männer in identischen Anzügen mit identischen Hemden und gleichförmig dezent gemusterten Krawatten gleichmütig in die Kamera starren, wecken den Gedanken an eine Truppe. Als habe das Jahrhundert der Weltkriege, das 20., ihnen ein für alle Mal aufgetragen, zusammenzuhalten und ihre erotische Person in irgendeine ­außerzeitliche Sphäre zu verbannen.

Die männliche Jugend ist schon anders drauf, aber das meiste, was sie an Abwechslung in Bekleidungs- und Selbstdarstellungsstilen zu bieten hat, geht in Richtung Sport, wo letztlich auch wieder die Uniform dominiert.

Frauen dürfen ihre Reize in der ­Öffentlichkeit präsentieren; kürzlich war der Bauchnabel, neuerdings ist der ­Busenansatz freigegeben. Es gibt Kritik an dieser Offenheit, auch vonseiten zugezogener Migranten, die darauf bestehen, dass weibliche Schönheit nur dem Ehemann zu Gesicht kommen dürfe und dem Rest der Welt verborgen bleiben müsse. Sie verstehen westliche Frauen als der Ausbeutung durch Beauty-Konzerne und männliche Gaffer ausgesetzt. Hiesige Honoratioren aus ländlichen Regionen, die noch auf Kirchgang bestehen, denken ähnlich. Diese Leute begreifen nicht, dass das Sich-zeigen-Dürfen ein wichtiges Stück weiblicher Freiheit ist, das Frauen zu verteidigen haben, und dass das Argument von der Ausbeutung der weiblichen Reize nicht weit trägt.

Zwar ist es richtig, auf die Macht der Beauty-Industrien und der für Leitbilder zuständigen Medien zu verweisen, aber die Kritik daran muss von den Frauen selber kommen, sie kann nicht von Männern durchgesetzt werden. Frauen sind lange genug Mündel gewesen. Die freie Verfügung über ihren Körper schließt die Verfügung über dessen Abbild und Show-Wert ein.

Wenn dem weiblichen Publikum die nächste Folge von „Topmodel“, noch eine Diätmode oder Autowerbung mit halb entblößten Mädchenpopos auf die Nerven geht, müssen das die Frauen selbst vortragen und einen Wandel fordern. Was alle Probleme letztlich über­lagert, die Frauen mit ihrem Aussehen haben und den Möglichkeiten, es zu ­optimieren, ist die vitale Freude am Sich-Zeigen, die schon kleine Kinder haben und die erwachsenen Frauen über viele Jahrhunderte mit allen möglichen Vorschriften vergällt worden ist.

Dass die Beauty-Industrie mit ihrem Versprechen, jede Frau könne schön sein, eine dreiste Lüge in die Welt gesetzt hat, ist im Grunde jeder und jedem klar. Doch solange der Schönheitskult mit einem Mehr an Freiheit einhergeht, kann er auch seine spielerische und ironische Seite hervorkehren. Wenn er selbstdestruktiv wird, muss frau das anprangern. Das geschieht ja auch.

Es ist denkbar, und es wäre erfreulich, wenn die Frauen die Investition in ihr Erscheinungsbild als eine Art Selbstfeier verstünden, als wohlverdiente Belohnung für die Mühen ihres Aufbruchs. Wer schön sein will, muss leiden, sagte man früher. Heute könnte es heißen: Wer ­gekämpft hat, darf sich schön machen.

Der noch in den 1950er-Jahren verbreitete Slogan „Eine Frau wird erst schön durch die Liebe“, womit alte ­Abhängigkeiten wiederbelebt werden sollten, ist out. Heute wird frau schön durch die Emanzipation.

Der Text ist ein gekürzter Auszug aus dem neuen Buch von Barbara Sichtermann: Viel zu langsam viel erreicht (zu Klampen, 18€)

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