Alice Schwarzer schreibt

Ganz schön gestaunt im Westen

Artikel teilen

EMMA Ich habe Sie gestern abend im Fernsehen gesehen. Da saßen Sie als einzige Frau in einer Runde von Politikern.
Christine Bergmann
So ist das häufig. Ich profitiere davon, daß ich mit drei Brüdern großgeworden bin. Ich bin es von klein auf gewöhnt, daß eine Menge von Männern um mich herum sind, mit denen ich normal und sachlich umgehe. Ich habe da wenig Schwierigkeiten. Wenn ich mich manchmal als Außenseiterin fühle, dann weniger als Frau, sondern als die Ostvertreterin. Da denke ich: Worüber reden die jetzt? Das sind Jungs, die zwar nicht im Sandkasten zusammen gespielt haben, aber mindestens bei den Jusos Dinge gedreht haben, von denen wir aus dem Osten Dazugekommenen nichts wissen. Wir haben keine gemeinsame Vergangenheit.

Anzeige

Da wäre aber eine Westfrau auch nur bedingt dabeigewesen; und wenn, dann nur von Männergnaden. Und was sagen Sie zum neuen Typ Mann, der sich uns seit den Wahlen präsentiert? Die taffen Kerle mit den großen Zigarren?
Ja, ja, die männlichen Sieger. Aber sie haben doch begriffen, daß es ohne uns Frauen nicht mehr geht. Sie möchten nicht den Krach mit uns Frauen. Deshalb ist es wichtig, daß sich Frauen immer wieder zu Wort melden, nicht nur als Einzelne, sondern auch als geballte Ladung. Und wir brauchen Frauen, die uns Einzelnen, die wir inmitten dieser Siegertruppe stecken, den Rücken stärken.

Sie haben selbst einmal gesagt, das ist wie in der Ehe. Die Frau kann bitten, und wenn das nichts nutzt, dann muß sie bereit sein, zu fordern und die Machtfrage zu stellen. Nach den Wahlen hat es ja ein paar Tage gedauert, bis die Frauen ihren Anspruch auf mehr Posten angemeldet haben. Waren Sie beim Frauentreffen dabei?
Ich war dabei! Wenn Frauen etwas durchsetzen wollen, dürfen sie sich nicht auseinanderdividieren lassen.

Waren die Parteimänner verblüfft, als sich die Frauen zu Wort gemeldet haben? Die dachten ja, nun haben sie den Bären erlegt und teilen das Fell auf.
Es gab etwas Verwunderung, ob das denn nötig sei – sie hätten die Frauenfrage doch längst verinnerlicht. Aber wir dachten, es kann nicht schaden, wenn wir sie nochmal an das erinnern, was sie da verinnerlicht hatten! (lacht)

Gibt es auch parteiübergreifende Kontakte unter den Frauen?
Bergmann Ja, es gab und gibt Kontakte. Nach der Wahl haben wir schnell Kontakt zu den grünen Frauen gesucht. Da ging es erst mal um die Fraktionsarbeit, darum, daß Frauen sich nicht in die sogenannten „weichen Ressorts“ abschieben lassen, sondern überall mitmischen.

Eine gute Idee – aber haben Sie auch darüber geredet, wie die durchsetzbar ist? 
Nun, wir haben ja die 40-Prozent-Quote, und die wollen wir auch für die Regierungsämter haben.

Wie haben unsere Westverhältnisse eigentlich auf Sie als Frau aus dem Osten gewirkt nach dem Fall der Mauer?
Anachronistisch. Daß es da überhaupt noch Debatten darüber gibt! Die Frauenerwerbsarbeit war im Osten akzeptiert. Und das hat sich in den neuen Bundesländern bis heute nicht geändert. Das beweist auch der neue Sozialreport.

Es ist also nicht so, daß die Ost-Männer die Arbeitslosigkeit ihrer Frauen heimlich begrüßen, weil endlich die Konkurrenz weg ist und ihnen wieder eine Hausfrau zur Verfügung steht?
Nein. Bei uns im Osten gibt es wirklich in diesem Bereich einen Gleichstellungsvorsprung.

Sie sitzen in der neuen Regierung in einem Kabinett, in dem alle Männer eine Hausfrau zu Hause haben, allen voran der neue Kanzler.
Ich habe keinen Hausmann zu Hause.

Eben. Und die Regierungschefs unserer Nachbarländer halten sich auch keine Hausfrauen mehr. Madame Jospin ist Philosophieprofessorin an der Sorbonne und schreibt Bücher über Frauenrechte, Ms. Booth-Blair ist eine erfolgreiche Anwältin und verdient doppelt soviel wie ihr Mann. Das sieht in Deutschland noch ganz anders aus. Und da der Mensch vor allem von den Realitäten geprägt wird, sieht wohl auch das Frauenbild der deutschen Spitzenpolitiker noch ganz anders aus als in den Nachbarländern.
Christa Müller, die Frau von Lafontaine, hat trotz Kleinkind ein interessantes Buch geschrieben und arbeitet in der Zukunfts-Kommission der Friedrich-Ebert-Stiftung mit.

Damit hätten wir die einzige leuchtende Ausnahme auch schon abgehakt.
Auch mich hat in den letzten Jahren manches konservative Frauenbild in Männerköpfen verblüfft, das ich nicht mehr für möglich gehalten hatte.

Sie haben 45 Jahre Ihres Lebens als Ostdeutsche gelebt. Was können Sie davon jetzt in Ihre Arbeit als Bundesministerin einbringen?
Für mich und so gut wie alle Frauen in den neuen Bundesländern ist Berufstätigkeit selbstverständlich. Das ist unser gelebtes Leben. Ich bin erstaunt, wenn ich von hochintelligenten Menschen im Westen zu hören kriege, welche schlimmen Schäden Kinder unter drei Jahren erleiden, die nicht von der Mutter betreut werden. Mit diesem Muttermythos werden Frauen unter Druck gesetzt. Ich sage den Frauen: Laßt euch nicht erpressen, ihr seid keine schlechten Mütter, wenn ihr auch erwerbstätig sein wollt. Und eine unzufriedene Mutter ist auch nicht gerade ideal für Kinder.

Wie haben Sie das denn gemacht, als Ihre beiden Kinder klein waren?
Ich war durchgehend berufstätig. Aber ich habe einige Jahre lang Honorararbeit gemacht, teilweise zuhause, teilweise im Institut, während meine Kinder in der Kita waren. Ich kenne also verschiedene Arbeitsformen aus eigener Erfahrung.

Und was haben Sie seit der Wende von den Westfrauen dazugelernt, im Positiven wie im Negativen?
Das mangelnde Engagement der Westfrauen in Sachen Ganztagsbetreuung hat mich schon überrascht. Das war ein Kulturschock. Als positiv erlebe ich das genaue Hinsehen der Westfrauen auf Diskriminierungen. Wir haben im Osten wenig darüber nachgedacht. Wir haben zwar gemurrt: Die Männer könnten sich auch ein bissel mehr an der Kindererziehung beteiligen; oder sich mal in der Schlange anstellen, wenn es irgendwo was zu kaufen gibt, und sich nicht nur für den Trabbi verantwortlich fühlen. Trotzdem lief das Rollenverhalten weiter, und wenn es den Frauen nicht mehr paßte, haben sie sich eben getrennt.

Das konnten sie leicht, weil sie ihren Beruf hatten und ökonomisch unabhängig waren.
Ja, die Stimmung war: Warum soll ich jemandem die Socken waschen, wenn er sich nicht beteiligt? Dann kann ich das mit meinen Kindern auch alleine hinkriegen. Die Kinderbetreuung war gesichert. Natürlich habe ich mich als junge Apothekerin manchmal gewundert: Die Kreisapotheker waren alles Männer, und die waren viel schlechter im Studium als wir Frauen. Und natürlich haben wir uns mokiert, wenn die Abteilungsleiter am 8. März durch die Gegend zogen...

...am Sozialistischen Muttertag...
...und jeder Frau drei Nelken in die Hand drückten. Da wir aber Distanz zu diesem Staat hatten, haben wir das eben abgehakt.

Sie haben vor der Wahl gesagt, Sie hätten nicht die gleichen Ziele wie Ihre Vorgängerin, Claudia Nolte. Sie wollten über die „weichen“ Ressorts hinaus. Was heißt das konkret?
Das bedeutet, daß ich am Kabinettstisch ressortübergreifend die Teamarbeit einfordern werde; daß ich mich einmische in die Bereiche Jugendarbeitslosigkeit und Arbeit für Frauen. Da bringe ich Kompetenzen mit.

Und was haben Sie da für Vorschläge?
Wir wollen ja 100.000 Arbeits- und Ausbildungsplätze für Jugendliche schaffen. Ich weiß aus meiner Erfahrung in Berlin, wie man ein solches Programm zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit anlegt. Wir wollen die Jugendlichen weniger im öffentlichen Sektor unterbringen, sondern in den Betrieben. In Berlin finanzieren wir die Sozialhilfe für zwei Jahre vor und schaffen mit diesem Geld die Plätze. Das haben wir im Sommer so beschlossen, und es wird gerade umgesetzt. Mädchen müssen daran gleichberechtigt beteiligt sein.

Und welche Erfahrungen haben Sie in Berlin damit gemacht?
Ein mühsames Geschäft. Man muß Arbeit reinstecken und den Betrieben auch passende Jugendliche vermitteln, sonst machen die das nicht mit. Man kann nicht sagen: Hier sind Jugendliche, und hier ist Geld, und nun nehmt die mal. Für Jugendliche, die länger arbeitslos sind und noch nie richtig gearbeitet haben, braucht man das, was wir in Berlin IntegrationsberaterInnen nennen. Hier muß eine richtige Betreuung stattfinden.

Haben Sie schon mit Riester darüber geredet?
Ja. Und er kennt ja die Sachen, die wir in Berlin gemacht haben. Mit der Justizministerin will ich im Bereich der gewaltfreien Erziehung zusammenarbeiten. Das kostet ja nicht einmal Geld.

Vermutlich schlagen Eltern trotz gesetzlicher Verbote weiter hinter verschlossener Tür. Aber Gesetze setzen ja Maßstäbe und haben auch eine symbolische Wirkung.
So ist es. Man sagt damit, daß man das nicht billigt. Kürzlich gab es den 24. Jugendgerichtstag in Hannover. Dort wurde wieder mal festgestellt, daß vor allem Jugendliche, die selber Gewalt erfahren haben, später gewalttätig werden.

Die Jungen werden destruktiv gegen andere. Die Mädchen aber werden eher destruktiv gegen sich selbst. Auch das ist also vor allem ein Geschlechterproblem. – Aber was schlagen Sie vor, um Mädchen-Arbeitsplätze zu beschaffen?
Es geht darum, Mädchen und Frauen davon zu überzeugen, in zukunftsträchtige sogenannte „Männerberufe“ reinzugehen. Ich versuche, die Betriebe mit Geld zu locken. Eine andere Möglichkeit habe ich zur Zeit nicht. Die Betriebe bekommen viel Geld, wenn sie ein Mädchen zur Ausbildung einstellen, 12-15.000 Mark.

Also eine Art staatliche Mitgift?
(lacht) Wenn die Mädchen – und die Betriebe – erst mal die Erfahrung gemacht haben, läuft es prima. Aber wie dahin kommen? Die Vorbehalte sind groß, der Andrang der Mädchen ist klein.

Die Mehrzahl der Mädchen strebt immer noch in die zehn traditionellen Frauenberufe.
Ich kann die Mädchen nur ermuntern: Geht in die gewerblichen Berufe, geht in die Informationstechnologie! Dort gibt es so gute Jobs mit so guten Zukunftschancen – warum sollen die nur den Männern zugute kommen? Gleichzeitig müssen wir die traditionellen Frauenberufe aufwerten, um Frauen in den Betrieben, wo sie schon stark vertreten sind, bessere Chancen zu verschaffen.

Gerade Ihr Ressort hat Grenzen. Das fängt an beim Budget und geht weiter mit dem beschränkten Apparat – wenig Geld, wenig Leute: Wie wollen Sie da nicht nur appellieren, sondern auch handeln?
Zuerst einmal ist es möglich, die Rechtslage zu verbessern, besonders die Rechte von Frauen. Da sind wir beim Gleichstellungsgesetz. Das existierende Gesetz bezieht sich nur auf die Bundesbehörden und reicht überhaupt nicht aus. Wir wollen endlich ein Gleichstellungsgesetz, das in die Privatwirtschaft hineinreicht, das also Betriebe ab 100 Beschäftigte verpflichtet, Frauenförderpläne zu machen, Frauen einzusetzen. Da wird es sicher einen Aufschrei geben, aber da gibt es schon einen Vorschlag der SPD-Fraktion. Zum Beispiel die Koppelung der Vergabe von Geldern an Frauenförderpläne in den Betrieben – positive Anreize also.

Was könnte bei einem „Bündnis für Arbeit“ für Frauen rauskommen?
Die Flexibilisierung von Arbeitszeit. Die könnte man auch rechtlich regeln: Arbeitszeitverkürzung, Teilzeitarbeit für alle, Frauen und Männer.

Aber da gibt es die große Gefahr, daß die Frauen in der Teilzeitarbeit versacken. Der Trend läuft ja schon. Wie wollen Sie dem entgegenwirken?
Ich persönlich bin mehr für generelle Arbeitszeitverkürzung als für das Teilzeitmodell. Aber die Frauen sind natürlich in einer schwierigen Lage. Permanent kommen Frauen zu mir und sagen mir: Ich schaffe es nicht, mit dem Kind voll zu arbeiten, aber der Betrieb verlangt es von mir. Das ist natürlich eine elegante Art, Frauen rauszuschmeißen: nach dem Erziehungsurlaub zu sagen, entweder du kommst voll – oder gar nicht. Deswegen muß man einen Rechtsanspruch auf verkürzte Arbeitszeit schaffen mit der Möglichkeit, sie auch wieder aufzustocken. Gute Beispiele gibt es schon dafür.

Die Babypause hat sich ja als die ganz große Frauen-Falle erwiesen. Auch hochqualifizierte junge Frauen wandern in die Babypause ab – und kommen nach ein paar Jahren nicht mehr rein in den Beruf. Sie schlagen jetzt statt dem Erziehungsurlaub einen Elternurlaub mit Zeitkonto vor. Wie soll das aussehen?
Das Elternkonto, das wir einrichten wollen, hat den Charme, daß es kostenneutral ist. Die zwei Jahre können die Eltern nehmen, wie sie es wollen. Sie können sie durch Abwechseln strecken oder auch gemeinsam nehmen und dabei Teilzeit arbeiten.

Aber Sie werden es den Vätern kaum vorschreiben können, sich zu beteiligen.
Doch. In Schweden gibt es beispielsweise einen Eltern-Monat, bei dem alle Väter mindestens einen Monat Erziehungsurlaub nehmen sollten. Das ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber ein bißchen kurz. Das Ziel muß ja sein, daß Betriebe bei jungen Vätern dasselbe Risiko eingehen wie bei jungen Müttern, damit die Benachteiligung der jungen Frauen aufhört. Die Firmen müssen in Zukunft damit rechnen, daß auch die jungen Väter zuhause bleiben.

Wie macht Ihre eigene Tochter das?
Ihr Sohn ist jetzt zwei. Mit anderthalb kam der schon in die Kita. Aber sie arbeitet Teilzeit in einer Apotheke.

Ganz wie die Mutter früher – da kann sie ja noch weit kommen. Und der Mann?
Der ist Umwelttechniker. Sie muß Schichtdienst machen, da muß er natürlich zuhause genauso ran. Und da sind wir beim nächsten Thema: der Kinderbetreuung. Das ist in den neuen Ländern ordentlich geregelt. Meine Tochter konnte sich sogar die Kita aussuchen. Wenn ich aber höre, daß man zum Beispiel in manchen Kommunen in Baden-Württemberg sein Kind nur von zehn bis zwölf und von zwei bis vier unterbringen kann – das hilft ja keiner erwerbstätigen Mutter. Und für Kinder unter drei gibt es so gut wie gar nichts. Hier werde ich massiv Druck machen, und hier brauche ich auch alle Frauen dazu.

Aber da sind doch inzwischen eigentlich alle Frauen dafür, oder?
Ja, aber die Männer nicht. Kürzlich in einem Redaktionsgespräch hat man mir ganz offen gesagt: Was denn, Betreuung für Kinder unter drei Jahren? Diese Rabenmütter! – Rabenväter gibt es natürlich nie. Wir brauchen die Kinderbetreuung vom Baby bis zum Schulkind. Wenn ich als Mutter oder Vater ruhig arbeiten will, muß ich wissen, daß meine Kinder ordentlich aufgehoben sind.

Eine Neuentdeckung war für die Ostfrauen nach der Wende doch auch das Problem der häuslichen Gewalt als politisches Problem.
Ja, das Thema war im Osten tabu, wie andere Themen auch. Häusliche Gewalt gab es in der reinen sozialistischen Gesellschaft gar nicht. Also gab es keine Frauenhäuser, keine Zufluchtsmöglichkeiten für Frauen. Als wir dann gleich 1990 in Ostberlin anfingen, Frauenhäuser aufzubauen, waren die Frauen sofort da. Im Nu waren unsere neuen Frauenhäuser voll. Die Frauen bei uns waren zwar ökonomisch unabhängig, aber es gab auch Gewalt, und sie konnten sich wegen der großen Wohnungsnot im Osten schlecht trennen, mußten oft jahrelang in derselben Wohnung mit dem Mann weiterleben.

Sie haben als Senatorin 1994 in Berlin das Projekt gegen häusliche Gewalt mitinitiiert. Sie wissen, daß die vielzitierte „innere Sicherheit“ zuhause anfängt. Was werden Sie jetzt als Ministerin tun?
Wir müssen an die Ursachen, sprich an die Täter, ran. Die Gewalt gegen Frauen muß gesellschaftlich stärker geächtet werden. Ich habe es auch satt, daß immer die geschlagene Frau und die Kinder aus der Wohnung rausmüssen. Ein Frauenhaus ist schließlich kein Luxus¬hotel, wie wir alle wissen. Es soll endlich der gewalttätige Mann raus! Da bin ich mir mit Hertha Däubler-Gmelin einig, daß man da jetzt rechtliche Regelungen treffen muß.

Das muß ja unter Umständen von einer Stunde auf die andere entschieden werden können, denn jede weitere Stunde könnte die Frauen das Leben kosten.
Das geht. Die Amerikanerinnen haben außerdem eine Bannmeile um die Wohnung durchgesetzt, die der Täter nicht überschreiten darf. Auch die Österreicherinnen haben vor einem Jahr eine solche Regelung getroffen. In diese Richtung wollen wir auch. Und mit der Täterarbeit nach amerikanischem Modell fangen wir in Berlin ab Januar an: mit Kursen, in die Täter auf richterliche Anweisung geschickt werden, und in denen sie sich mit ihrem Verhalten auseinandersetzen müssen.

Aber es heißt doch immer, Täterarbeit bringe nur dann etwas, wenn die Männer freiwillig mitmachen und eine gewisse Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit sich selbst mitbringen. Was ist, wenn sie Einsicht heucheln?
Das sehe ich anders, aufgrund meiner vielen Kontakte zu Leuten in Projekten mit jugendlichen Gewalttätigen. Viele von denen kommen nicht freiwillig und werden gegen ihren eigenen Willen mit den Folgen ihrer Taten konfrontiert. Und irgendwann erreicht man die meisten dann doch. Aber es ist erstaunlich, mit welchen Schutzbehauptungen die Täter kommen, wenn sie mit ihrer Schuld konfrontiert werden: Die hat mich provoziert. Und häufig übernimmt die Gesellschaft noch diesen Blödsinn.

Die Bereiche, die Sie jetzt genannt haben: die Berufstätigkeit, die Kinderbetreuung, die Gewalt, das sind alles Aufgaben, die Sie als Ministerin nicht allein aus Ihrem Ressort heraus bewältigen können. Sie sind dabei auf die ressortübergreifende Kooperationsbereitschaft im Kabinett angewiesen. Wie werden Sie das in der rotgrünen Regierung anpacken?
Da schlägt sich vieles in der Koalitionsvereinbarung nieder. Die Arbeitszeitverkürzung, die Flexibilisierung der Arbeit, auch der Kampf gegen häusliche Gewalt ist aufgenommen.

Aber es fällt ja nicht alles in Ihre Zuständigkeit. Neue Gesetze zum Beispiel.
Stimmt. Auf der Bundesebene ist fast alles, was mit Gesetzen zu tun hat, bisher beim Justizminister angesiedelt. Das halte ich nicht für zwingend. Man kann die Federführung für einen Gesetzesvorschlag zum Beispiel bei dem Fachressort ansiedeln, das inhaltlich dafür zuständig ist. Es geht ja bei den Gesetzen, die wir vorschlagen, nicht nur um den juristischen Sachverstand, sondern vor allem um eine politische Weichenstellung.

Und was ist mit dem Gesetz gegen Pornographie, das auch Sie zusammen mit dem Bonner Politikerinnenbündnis (siehe Emma 3/98 und 5/98) vor den Wahlen gefordert haben?
Das haben wir bis jetzt nicht in den Koalitionsvereinbarungen mit drin, da ist noch viel Arbeit zu leisten. Eine gute Aufgabe für ein Frauenbündnis. Ich bin gespannt, wann wir das erreichen.

Ich auch.
Mich hat da manches sehr gewundert, vor allem die Haltung der Medien zu Pornographie. Ich hatte eigentlich gedacht, alle Frauen aus dem Medienbereich stimmen uns zu, wenn wir gegen die Pornographie angehen. Aber daß sich sogar Frauen hinstellen und so tun, als ob wir „Nesthäkchen“ zensieren wollen – das fand ich schon etwas verblüffend. Sie nicht?

Nein. Ich bin das seit 20 Jahren gewöhnt.
Das scheint aber ein spezielles Medienproblem zu sein. An der Basis ist die Sache klar. Bei den Frauen herrscht überall große Zustimmung: Greift das Thema endlich wieder auf, wir fühlen uns in unserer Würde beeinträchtigt durch das, was da permanent passiert!

Sie sagen, es nutzt nichts, immer nur an den Folgen der Gewalt gegen Frauen herumzudoktern, man muß an die Ursachen gehen. Und eine der zentralen Ursachen ist die Pornographie.
Natürlich! Und deswegen ist es genau richtig, bei der Pornographie anzufangen. Ich glaube, bei manchen Journalistinnen und grünen Politikerinnen ist es die Angst davor, in die prüde Ecke geschoben zu werden.

Nach meinen Beobachtungen scheint die Zustimmung zur Pornographie das Eintrittsticket für Frauen in gewisse fortschrittliche Kreise in Politik wie Medien zu sein. Männer äußern sich ja schon lange nicht mehr dazu, die schicken Frauen vor. Am allerliebsten Frauen, die sagen: Ich bin Feministin, und ich finde Pornos geil.
Als ob man die eigene Modernität nachweisen müßte, indem man etwas unterstützt, das eindeutig gegen uns Frauen gerichtet ist. Da sollten die Frauen ein Stück selbstbewußter sein und mehr auf sich selber hören. Das ist doch eine Frage der Würde. Ich finde Pornographie eindeutig abstoßend.
Haben die Männer das nötig?

Also dürfen wir hoffen, daß die neue Frauenministerin am Thema dranbleibt und endlich ein realistisches Gesetz gegen Pornographie fordert?
Ich bleibe an dem Thema!

Noch eine Frage zum Steuerrecht. Sie sind im Wahlkampf zurückgepfiffen worden wegen Ihrer Forderung der Abschaffung des Ehegattensplittings.
Die Ehe wird im Steuerrecht ja jährlich mit ca. 40 Millarden Mark gefördert. Dieses Geld bräuchten wir eigentlich für die Förderung der Familie. Es war auch klar, daß man das Thema im Wahlkampf nicht vernünftig diskutieren konnte. Das Problem sind die Männer mit den Hausfrauen, egal in welcher Fraktion. Aber wir sind dabei, den Splitting-Vorteil zu kappen.

Sie sind für eine eingetragene Partnerschaft. Geht es Ihnen da auch um die uneingeschränkte Gleichstellung für heterosexuelle und homosexuelle Paare?
Ja. Es geht um die rechtliche Gleichstellung der auf Dauer angelegten Partnerschaften, gleichgeschlechtliche wie heterosexuelle. Meine Kinder sind alle beide nicht verheiratet, haben beide Lebensgefährten, haben beide Kinder, und leben in der gleichen Verantwortung zusammen wie ich mit meinem Mann. Ich finde, daß man da rechtliche Einschränkungen aufheben sollte.

Und wie stehen Sie zu einem uneingeschränkten Zugang von Frauen zur Bundeswehr?
Hier interessiert mich vorrangig, den dazugehörigen Arbeitsmarkt für Frauen zu erschließen.

Der Knackpunkt ist natürlich der uneingeschränkte Zugang auch zu den Waffen. Frauen eignen sich „von Natur aus nicht für den Wehrdienst“ – so steht es jedenfalls im deutschen Grundgesetz. Sie dürfen im Krieg zwar vergewaltigt und erschossen werden, aber auf keinen Fall sollen sie zurückschießen können. Auch die Frage eines sozialen Jahres für beide Geschlechter wäre angesichts der Jugendarbeitslosigkeit nicht uninteressant. Für Männer wie Frauen: entweder Dienst in der Bundeswehr oder ein soziales Jahr.
Da muß ich nochmal drüber nachdenken. Bisher gibt es diese Koppelung nicht, das soziale Jahr ist freiwillig. Aber in Berlin gibt es mehr Bewerbungen als Plätze. Ein Pflichtjahr für Mädchen habe ich allerdings bisher immer abgelehnt, weil sie fast ihr ganzes Leben in der Pflicht sein werden.

Wie sieht eigentlich der Alltag einer Ministerin aus? Hält Ihnen jemand den Rücken frei, wer geht einkaufen?
Mein Mann. Wenn er nicht einkaufen würde, wäre bei uns der Kühlschrank häufig leer, weil ich sehr selten sonnabends zuhause bin. Aber das kriegen wir immer irgendwie hin, wir zwei schaffen das schon. (lacht)

Und was sagt Ihr Mann zu Ihrer politischen Blitzkarriere?
Der akzeptiert das. Wenn ich manchmal ganz kaputt nach Hause komme, guckt er zwar schon mal und sagt: Meine Güte. Aber er arbeitet ja auch sehr viel. Er ist Veterinärmediziner, Pathologe, und macht beides, Forschung und Lehre. Wir können gegenseitig verstehen, daß der Beruf viel Einsatz verlangt. Ich habe keinen Hausmann, aber einen Mann, der eine Menge zuhause macht – eigentlich den größeren Teil, muß ich fairerweise sagen. Aber früher habe ich den größeren Teil gemacht, jetzt gleicht sich das aus.

Artikel teilen
 
Zur Startseite