"Die Frauenrepublik"

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Über eine Minute sah es beim Gipfel der G 8 in Heiligendamm so aus, als würde die Welt von Frauen regiert. Da standen acht Frauen vor dem weißen Hotel und unterhielten sich vergnügt. Eine war Angela Merkel, die anderen waren die Ehefrauen von Merkels Kollegen, den Staats- und Regierungschefs.

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Es war also noch die Welt, die man kennt: eine mächtige Frau plus sieben Begleiterinnen von mächtigen Männern. Es war nur Merkels Gruß ans Damenprogramm, aber kurz flackerte dabei die Vorstellung auf, es könnte auch mal anders kommen.

Und das sähe dann so aus: Beim Treffen der G 8 reden ausschließlich Frauen über das Schicksal der Welt, und zwischendurch schlendert mal eine von ihnen rüber zu den Teilnehmern des Herrenprogramms und fragt, ob sich alle wohl fühlen. Man plaudert, aber nach einer Minute muss sie wieder weg, die anderen Frauen warten schon, es seien noch ein paar Weltprobleme ungelöst, die Herren hätten doch hoffentlich Verständnis. Die Herren nicken, klar, sie haben Verständnis, die Welt muss schließlich von ihren Gattinnen regiert und manchmal gerettet werden.

Was wäre das wohl für ein Gipfel? Was wäre das für eine Welt?

Deutschland erlebt gerade, dass es einen Unterschied macht, ob eine Frau regiert oder ein Mann. Deutschland erlebt das in einem überraschenden Ausmaß. Es gibt keinen kleinen Unterschied, sondern einen großen. Aber nicht jeder kriegt das mit. Gerade Männer klagen derzeit gern, wie langweilig Politik geworden sei mit Angela Merkel und ihrer Großen Koalition. Sie vermissen Gerhard Schröder und Joschka Fischer, die großen alten Schlachtrösser der Testosteronpolitik. Dabei sollten die Männer lieber genau hinschauen, wie Deutschland gerade Frauenrepublik wird, wie Frauen Politik machen und wie sich die Gesellschaft dabei ändert, schon im eigenen Interesse. Denn es geht um Rollenbilder und Lebensformen, also um die wirklich wichtigen Dinge.

Im deutschen Erinnerungsschatz gibt es nur zwei Frauen, die politisch gewirkt haben. Die eine ist Luise, die Gattin von König Friedrich Wilhelm III., die bei Napoleon vorsprach, damit er die Bevölkerung im besetzten Preußen nicht so leiden lasse. Die andere ist Rosa Luxemburg, die am Spartakusaufstand von 1919 beteiligt war und deshalb ermordet wurde.

Die Bundesrepublik hat bis zum Jahr 2005 nicht eine Politikerin hervorgebracht, die wirklich Macht hatte. Die prestigeträchtigen Ministerien - Außen, Innen, Verteidigung, Finanzen - wurden ausnahmslos von Männern besetzt. Die Frauen bekamen Ämter, in denen sie nicht störten.

Nie zuvor gab es ein Jahr wie 2007, in denen gleich drei Frauen die großen Schlagzeilen in der Politik gemacht haben, Angela Merkel mit ihrer Außenpolitik, Ursula von der Leyen mit ihrer Familienpolitik und Gabriele Pauli erst mit ihrer Unbotmäßigkeit gegen Edmund Stoiber und dann mit Erotikfotos. Merkel und von der Leyen finden diese Gesellschaft vielleicht nicht schmeichelhaft, aber beide haben Gemeinsamkeiten mit Pauli, und nur die drei Geschichten zusammen ergeben die ganze Geschichte von Frauen in der deutschen Politik.

Gabriele Pauli hat in diesem Jahr erlebt, wie Frauen aufsteigen und fallen können. Angela Merkel gibt einen Einblick in weibliche Machtstrategien ganz oben. Ursula von der Leyen macht eine Politik, die das Leben von Frauen verändern wird und damit auch das von Männern.

Tief in der deutschen Seele sitzt der Mythos vom bösen Weib, der auch ein politischer Mythos ist, weil er aus der Machtwelt eines Königshauses überliefert wurde. Im "Nibelungenlied" sind Kriemhild und Brünhild attraktiv, stolz und zänkisch, und ihretwegen fallen die Männer reihenweise, darunter der tapfere Siegfried.

Nun ist der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber nicht unbedingt ein tapferer Siegfried, aber Gabriele Pauli, die Landrätin der CSU aus Zirndorf, hat es ganz schnell zum bösen Weib gebracht. Sie war eine der wenigen, die den Mut hatten, Stoiber die Stirn zu bieten, als die Partei flüsterte, dass seine Zeit abgelaufen sei. Stoiber stürzte wie von der CSU gewünscht, aber Pauli wurde dafür von vielen gehasst, noch vor den Fotos in "Park Avenue".

Beim politischen Aschermittwoch der CSU in Passau wurde sichtbar, wie lebendig der Mythos vom bösen Weib noch ist. Es gab ein solches Gejohle und Gehetze gegen Pauli, wie es gegenüber einem Parteifreund, einem Mann, undenkbar wäre. Es wurde auch "Hexe" geschrien.

Gabriele Pauli war plötzlich berühmt, und in der Halle sah man schon, dass sie es genoss. Sie trieb ein eitles Spiel mit den Fotografen, posierte mit spitzem Mund und war ganz die schöne Frau, die ein großes Spiel spielen will. Es war nicht zu übersehen, dass sie anderes mit sich vorhat, als bis zur Rente Fürther Landrätin zu sein.

Ehrgeiz ist in der Politik nicht verkehrt. Man muss schon wollen wollen. Aber was machen Frauen mit ihrem Ehrgeiz? Sie stoßen bald an das, was die "gläserne Decke" genannt wird. Sie bleiben stecken in ihrer Karriere und wissen nicht genau, warum. Um durch die gläserne Decke zu kommen, setzen Frauen auffällig oft auf ein Mittel, das Paukenschlag heißt. Das verbindet Pauli mit Merkel und auch mit Andrea Nahles von der SPD.

Angela Merkel war Generalsekretärin der CDU und begabt für mehr, aber mehr war nicht drin. Über ihr thronte Wolfgang Schäuble, und ihre Altersgenossen von der Union hatten die Zukunft längst unter sich aufgeteilt, im sogenannten Andenpakt, dem nicht eine Frau angehört.

Andrea Nahles war eines der größten politischen Talente der SPD, und sie ist jetzt einer der besten Sozialpolitiker in Deutschland. In der männerbündlerischen Parteispitze zu den Zeiten von Gerhard Schröder und Franz Müntefering hatte sie keine Chance, nach oben zu kommen.

Diese drei ehrgeizigen Frauen, Pauli, Merkel und Nahles, haben irgendwann zum Paukenschlag ausgeholt.

Angela Merkel hat 1999 den berühmten Abschiedsbrief an Helmut Kohl geschrieben. Andrea Nahles hat nach der Wahl 2005 darauf bestanden, Generalsekretärin der SPD zu werden, obwohl der Parteivorsitzende Franz Müntefering das nicht wollte. Gabriele Pauli hat 2006 den Rücktritt von Edmund Stoiber als Ministerpräsident gefordert.

Alle drei haben berühmte Männer gestürzt. Kohl konnte nicht mehr Ehrenvorsitzender der CDU sein. Müntefering trat vom Parteivorsitz zurück, weil er die Abstimmung über seinen Wunschkandidaten zum Generalsekretär verloren hatte. Stoiber ist als Ministerpräsident und Parteivorsitzender zurückgetreten.

Für alle drei Frauen gab es mehrere Gründe, so zu handeln, aber ein Motiv war jeweils die Unabhängigkeit und Verzweiflung der Frau, die in einer Männerwelt nicht weiterkommen kann. In den Seilschaften, die nach ganz oben führen, zur Sonne, war bislang kein Platz für sie vorgesehen.

So wurden sie zu Anarchisten gemacht, und das ist gut für die Demokratie, denn Demokratie ist Wechsel, und Merkel, Nahles und Pauli haben in drei anarchistischen Attacken den Wechsel befördert.

Merkel ist ihr Paukenschlag gut bekommen, sie wurde Kanzlerin, gilt aber als "Männermörderin" und muss immer auf der Hut vor dem Andenpakt sein. Nahles wurde erst zum bösen Weib verschrien, ist jetzt aber stellvertretende Parteivorsitzende. Pauli steigerte aus eigener Dummheit ihren Ruf als böses Weib und wird wohl keine weitere Karriere in der Politik machen.

Jetzt muss man über Sex in der Politik reden. Politik ist ein anstrengender Beruf, und Sex ist eine Form von Belohnung, die für einen mächtigen und prominenten Politiker leicht zu kriegen ist. Deshalb haben Frauen schon immer eine wichtige Rolle in der Politik gespielt, als Geliebte.

Unter Rot-Grün kam zudem ein neues Element in die Politik, äußerliche Attraktivität. Schröder zeigte gern seine junge, attraktive Frau. Er zeigte sich gern in schicken Anzügen und Mänteln. Es ging ständig um Äußerlichkeiten. Sind Schröders Haare gefärbt oder nicht? Ist Fischer dünner oder dicker geworden? Bei den großen Testosteronpolitikern ging es ein bisschen zu wie bei den "Golden Girls". Es war der Auftakt zur Körperpolitik.

Bislang war das Thema Sex in der Politik von Männern dominiert. Frauen hielten es für das Beste, sich öffentlich sexuell zu neutralisieren. Nun haben kurz hintereinander zwei prominente Politikerinnen mit ihrer Attraktivität gespielt.

Gabriele Pauli ließ sich in erotischer Kleidung und in erotischen Posen ablichten. Ursula von der Leyen machte im Kabinettssaal ein kleines Tänzchen, um zu beweisen, dass man sich in einem kurzen, engen Rock gut bewegen kann.

Beides war peinlich. Beide Frauen sind den Versuchungen der eigenen Attraktivität erlegen. Politik ist kompliziert genug, und Sex macht, wie man weiß, alles komplizierter. Auch wenn das jetzt freudlos klingt, aber ein paar Bereiche sollte es doch noch geben, in denen nicht der Körper eine Rolle spielt, sondern allein der Kopf. Politik ist ein solcher Bereich.

Aber seit einiger Zeit ist Politik oversexed, zu viele Geliebte, Outings und Posen. Deshalb würde man den Frauen gern raten, undersexed aufzutreten und ihre Liebhaber gut zu verstecken. So könnten sie ein Vorbild für Männer werden.

Für von der Leyen war ihr Tanz kaum ein Problem, weil sie saubere Schönheit zeigte. Für Pauli waren die Fotos ein Riesenproblem, weil sie dreckige Schönheit zeigten. Sie sah ein bisschen nach Domina aus - Hilfe!

Danach war sie das böseste Weib von allen, und Stoiber wurde fast schon als Opfer bedauert. Darin steckte viel Verlogenheit. In Wahrheit ist Folgendes passiert: Pauli hatte eine berechtigte Forderung gestellt und war von Stoiber schäbig behandelt worden. Für diese Position der moralischen Überlegenheit wurde sie gehasst. Im Aufschrei nach den Fotos steckte vor allem Erleichterung, Pauli konnte nun als unmoralisch gelten. Sie hatte das Richtige gewollt, war aber die Falsche dafür, Gott sei Dank. Ein Stück Männerehre war wiederhergestellt.

Frauen sollten den Fall Pauli genau studieren. Sie lernen daraus, wie sie aufsteigen und wie sie fallen können. Es gibt keine geschlechtsneutrale Politik, den Aufstieg von Frauen empfinden viele Männer immer noch als Affront, weshalb sie Politik nahe am Abgrund machen. Also wiegen ihre Fehler besonders schwer, und offenbar neigen auch Frauen dazu, die gleichen Fehler zu begehen wie Männer. Deren Hauptfehler ist bislang, die Aufmerksamkeit, die sie bekommen, auf sich zu beziehen und nicht auf ihr Amt. So wächst Eitelkeit, und die hat noch so ziemlich jeden Sturz eingeleitet.

Andererseits ist es eine Frau, die gerade zeigt, dass man ein hohes Amt weitgehend uneitel ausüben kann. Wohl noch nie hat es einen so zurückhaltenden, fast unscheinbaren Start in eine Kanzlerschaft gegeben wie den von Angela Merkel. Zwar begannen auch die Männer meistens demütig, bis sie sich allmählich in ein steinernes Denkmal ihrer selbst verfestigten, starr, erhaben, unberührbar. Helmut Kohl und Gerhard Schröder waren solche Fälle. Doch bei Angela Merkel sieht es auch nach gut zwei Jahren so aus, als würde sie auf ewig mehr Frau Merkel sein als Frau Bundeskanzlerin.

Aus ihr strahlt immer noch die Überraschte, die kaum fassen kann, dass sie für ein paar Tage die Chefin der wichtigsten Männer der Welt ist wie beim Gipfel der G 8 in Heiligendamm. Sie kann sich noch immer ganz unkanzlerisch klein machen und um Männerbegleitung ersuchen für ihre Wege. So zeigte sie sich erstaunt, dass ihr Regierungssprecher Ulrich Wilhelm nach einer Pressekonferenz in Heiligendamm nicht folgen wollte, und war erleichtert, dass sein Stellvertreter Thomas Steg für ihn einsprang. "Hier verlernt man ja, allein zu gehen", sagte sie.

Das war dann schon wieder Selbstvergrößerung durch Selbstverkleinerung, weil in solchen Sätzen eine Distanz zum Amt und zur eigenen Bedeutung steckt, die nach Unabhängigkeit klingt, also nach Souveränität. Oder ist es schon ein Zeichen für den Verlust an Selbständigkeit, den alle Mächtigen erleiden? So ganz durchschaubar ist sie da noch nicht. Insgesamt aber sieht es nach einer Samtpfoten-Kanzlerschaft aus.

Ist das weiblich? Würde Gabriele Pauli auf gleiche Art Kanzlerin sein, wenn man sie ließe, oder Andrea Nahles?

Wohl nicht. Vieles, was jetzt bei Merkel so neu und ungekannt wirkt, ist weniger Weiblichkeit als ostdeutsche Herkunft. Sie hatte 35 Jahre lang ein Leben ohne Politik, sie hat nicht schon mit Anfang zwanzig begonnen, darauf hinzufiebern, dass sie eines Tages Kanzlerin würde. Ihr Leben in der DDR war ein Leben in engen Grenzen, ein weitgehend normales Leben.

35 Jahre der Normalität gibt es bei westdeutschen Spitzenpolitikern nicht. Das macht den größten Unterschied. Merkel ist eine Überraschte, und sie hat noch einen Blick auf sich selbst, in dem die Erinnerung an ihr normales Leben steckt. Das erdet. Das schafft Distanz und Ironie zu dem, was sie tut.

Gleichwohl gibt es ein weibliches Element in ihrer Politik, und auch das war in Heiligendamm schön zu beobachten. Bei ihren Kollegen aus dem Ausland wird Merkel als Dame behandelt. Es gibt immer ein großes Geherze und Geküsse, die Herren geben sich charmant und zuvorkommend und machen ihr mit kleinem Augenzwinkern den Hof.

Merkel spielt da mit. Sie spielt in diesen Momenten nicht Dame, aber Mädchen, auch mit Augenzwinkern. Es gefällt ihr, so umschwärmt zu werden, und den Männern gefällt, dass es ihr gefällt. Man hat es nett miteinander.

Das ist die Atmosphäre, in der Merkel ihre außenpolitischen Erfolge erzielt hat. Man kann sogar sagen, dass gespielte Mädchenhaftigkeit eine Voraussetzung dieser Erfolge ist. Merkel ist auch hartnäckig, aber diese Hartnäckigkeit wirkt für einen Mann nicht so bedrohlich, wenn sie mädchenhaft daherkommt. Der amerikanische Präsident George W. Bush wurde von ihr in der Klimafrage bedrängt, aber er musste sich nie in Bedrängnis fühlen.

Damit ist auch zum Teil erklärt, warum Merkel außenpolitisch erfolgreich ist, innenpolitisch aber nicht. Innenpolitisch wirkt das nicht. Es ist ein bisschen so wie mit alten Partnerschaften. Wenn man sich über Jahre fast täglich sieht, lässt die Zuvorkommenheit füreinander nach. Merkel wird von ihren Kollegen in Deutschland kaum noch als Frau wahrgenommen, sondern fast nur als Politikerin.

Und die Innenpolitikerin verhält sich auch nicht mädchenhaft. Sie hat mit fast allen deutschen Spitzenpolitikern heftige Kämpfe ausgetragen, sie hat verletzt und ist verletzt worden. In solchen Kreisen spielt man eher Kerl als Mädchen.

Es ist interessant, dass Merkel dabei nicht zu dem Mittel greift, das sie nach ganz oben hat kommen lassen, dem Paukenschlag. Als Generalsekretärin konnte sie damit wenig verlieren, aber viel gewinnen. Jetzt kann sie viel verlieren, zum Beispiel, wenn sie zu einem innenpolitischen Aufbruch auf die Pauke hauen und niemand ihr folgen würde. Die Kanzlerschaft wäre dahin.

Deshalb weiß man noch gar nicht, wie gut Angela Merkel führen kann. Heiligendamm, das war die Führung der Wohlmeinenden. Die Große Koalition, das wäre die Führung der Widerspenstigen, wäre also wahre Führung.

Solange sie die nicht gezeigt hat, schwebt das alte Vorurteil durch den politischen Raum, eine Frau sei für die großen schwierigen Momente nicht hart genug.

Angela Merkel hört nicht gern Fragen, die so beginnen: "Ist es für Sie als Frau ...?" Sie will als Bundeskanzlerin wahrgenommen werden, nicht als Frauenbundeskanzlerin. Und dennoch ist sie das auch.

Sie hat 2005 einen Wahlkampf geführt, in dem sie sich neutralisiert hat. Zwar wurde ihre Frisur damenhafter, aber das diente nur dazu, dass sie als Staatsrepräsentantin vorstellbar würde. Sie legte keinen Wert auf frauenpolitische Themen, und die Wählerinnen mussten nicht den Eindruck haben, Merkel als Kanzlerin würde viel für sie tun.

Das war eine Täuschung, damit den Männern nicht angst würde. Auch nach der Wahl blieb es zunächst bei dieser Einlullung, und dann hörte Deutschland in ihrer Neujahrsansprache 2006, dass sie den deutschen Fußballmännern süffisant anriet, sich die Fußballfrauen als Vorbild zu nehmen. Die waren schon Weltmeister.

Später hielt sie eine Rede vor Angehörigen der Bundeswehr, in der sie Freude darüber zeigte, dass so viele Frauen im Saal seien. Den Applaus der Männer quittierte sie mit der Bemerkung, sie sei gespannt, wie die Männer reagieren würden, wenn diese Frauen dereinst ihre Vorgesetzten wären. Sie grinste dazu, nicht böse, aber mit stiller Vorfreude auf die kommenden Triumphe von Frauen.

Da war endgültig klar, dass Angela Merkel durchaus als Frau Politik für Frauen machen will. Dafür hat sie Familienministerin Ursula von der Leyen, die ihre Projekte mit der Sympathie und Unterstützung der Kanzlerin verfolgt.

Sie ist ideal für diese Rolle. Sie macht den Männern und den konservativen Frauen keine Angst, weil sie adrett ist, weil sie sieben Kinder bekommen hat und weil sie im Prinzip konservativ ist. Und sie ist die perfekte Symbiose von politischem Ziel und eigenem Lebenswandel. Ursula von der Leyen muss nicht viel reden, sondern nur sein. Da sieht man ja: Es geht, sieben Kinder und ein schwieriger Beruf lassen sich offenbar ohne größere Glücksverluste vereinbaren.

So hat die deutsche Politik nun den ungewöhnlichen Fall, dass sich eine Ministerin die Gesellschaft nach dem eigenen Vorbild bauen will. Sie hat das Elterngeld eingeführt, und sie wird Deutschland mit einem Netz von Kindertagesstätten überziehen.

Damit hat sie mehr für die Frauen getan als alle sozialdemokratischen Politikerinnen zusammen. Es gehört nun schon zu den etablierten Paradoxien der bundesdeutschen Politik, dass immer die Parteien einen großen Wandel einleiten, von denen man das nicht erwartet. SPD und Grüne haben die Bundeswehr in den ersten Kampfeinsatz gegen einen souveränen Staat geführt, SPD und Grüne haben den Deutschen eine Sozialleistung genommen, die Arbeitslosenhilfe.

Nun ist es die Union, die maßgeblich ein neues Frauenbild in der Gesellschaft etabliert. Offenbar geht der große Wandel nur aus einer Position der scheinbaren Harmlosigkeit heraus. Hätte die SPD eine Frauenpolitik gemacht wie Ursula von der Leyen, wären die Konservativen auf die Barrikaden gegangen. Übler Feminismus, hätten sie geschrien. Nun grummeln sie, werden sich aber nicht sperren.

Überdies haben sich die Spitzen von Rot-Grün ohnehin nicht für Familienpolitik interessiert. Für Schröder war das "Gedöns", und auch seine Epigonen wollten lieber Prestige als Außen- oder Finanzminister einsammeln, als sich um Kleinigkeiten wie die Familie zu kümmern.

Aber der bislang auffälligste Wandel der Ära Merkel ist, dass die Familienpolitik zum zentralen innenpolitischen Thema geworden ist. Die meisten Männer haben es nur noch nicht gemerkt. Aber sie werden es bald merken. Als im vergangenen Jahr die Debatte darüber lief, ob Mütter arbeiten sollen oder nicht, konnte man sich als Mann nur wundern, wie heftig und brutal sie geführt wurde. Die einen sind die "Rabenmütter", die ihre Kinder verwahrlosen lassen. Die anderen sind die "Muttis", also einfältig und unsexy. Nun kommt mal wieder runter, hätte man gern dazwischengerufen.

Aber Männer haben auch lange nicht mehr eine Debatte von dieser Tragweite führen müssen. Es geht um Lebensformen, um Rollenbilder, es geht um das Verhältnis von Frauen zueinander, von Frauen zu Männern, von Eltern zu Kindern, es geht um Fragen, die in jeder Stunde eines jeden Tages eine Rolle spielen. Und es geht um den demografischen Wandel, also die Zukunft Deutschlands.

Es sind zwei Gesetze, die all diese Fragen beeinflussen: Kitas für fast jedes Kind und ein neues Unterhaltsrecht, das die erste Ehefrau nicht mehr privilegiert. Das eine Gesetz gibt Frauen die Freiheit zu arbeiten, das andere setzt sie unter Druck, Arbeit aufzunehmen, weil sie sich nicht mehr darauf verlassen können, durch eine Ehe lebenslang versorgt zu werden. Damit hat Merkels Regierung die Lebensrolle Ehefrau und Mutter praktisch abgeschafft.

Die Folgen davon werden bald sehr viele Männer spüren. Frauen, die arbeiten, werden darauf bestehen, dass auch nach Feierabend die Arbeit im Haushalt und die Beschäftigung mit den Kindern gleich verteilt werden. Es wird neue Verteilungskämpfe geben, nicht mehr um Geld, sondern um Zeit. Es wird für die Männer neue Konkurrenz im Beruf geben.

Hat da jemand "Gedöns" gesagt? Ist noch jemandem langweilig?

In Wahrheit ist dies eine spannende Zeit, und diesmal sind Frauen die treibenden Kräfte der Gesellschaft. Männer haben sich um Lebensrollen bislang wenig gekümmert, weil sie im Prinzip wollten, dass alles so bleibt, wie es ist, weil ihnen ihre althergebrachte Lebensrolle zupasskommt. Sie sind jetzt das konservative Element der Gesellschaft, die Frauen das fortschrittliche, weil viele von ihnen Veränderungen wollen.

Durch Angela Merkel und Ursula von der Leyen hat dieser Veränderungswunsch eine große politische Dynamik gewonnen, der die Männer nichts entgegenzusetzen haben, weil sie ihre besten Kräfte auf die klassischen Politikfelder setzen. Und gegen ausreichend viele Kindertagesstätten ist ja auch gar nichts zu sagen, im Gegenteil. Am schönsten allerdings wäre, man könnte die berufswilligen Frauen fördern, ohne die Frauen, die sich um Kinder und Haushalt kümmern, herabzuwürdigen. Klug und sexy sind die auch.

Insgesamt haben sich die Frauen die Frauenrepublik verdient. Sie haben durch anarchistische Akte verklebte Strukturen aufgerissen und den Wandel befördert, sie machen Fehler, aber es ist längst keine Frage mehr, ob eine Frau das Amt des Bundeskanzlers ausfüllen kann. Angela Merkel kann es. Nur die Frage, wie gut sie es kann, ist noch offen. Und die Frauen haben gezeigt, dass sie eigene Projekte haben, dass sie diese Gesellschaft sinnvoll verändern wollen.

Deshalb ist die Frauenrepublik ein Gewinn für dieses Land, sogar eine Notwendigkeit. Demokratie ist Wechsel, und Wechsel wird spürbar, wenn es einen Unterschied macht, ob der eine regiert oder der andere.

Zwischen Männern und Frauen sind die Unterschiede immer noch sehr groß, und man möchte ja nicht, dass sie so ganz verschwinden. Dann ist es aber nur richtig, dass auch die Frauen regieren und ihre Interessen befördern. Und zur demokratischen Idee des ständigen Wechsels gehört logischerweise auch, dass irgendwann wieder ein Mann ranmuss.

Die Frauenrepublik", Der Spiegel, 18.6.2007

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